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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Tage ähnlich wie Schaum, nach vierzehn Tagen wie Blut und nach sechsundzwanzig Tagen einem Klumpen gleich. Dieser bläht sich auf und wächst mit jedem Tag durch den Atem der Frau sowie durch das, was aus der Luft an Stoffen in sie hineinkommt. Dann spaltet sich der Blutklumpen, und an der Stelle der Spaltung entsteht der Nabel. Er ist der Verbindungsstrang, aus dem der Atem der Frau in das Kind gelangt. Sooft das Kind nun selber atmet, gelangt die Nahrung zu ihm.«
    »Welche Nahrung?«, fragte Furqan.
    Vitus stellte fest, dass der Jüngling jegliche Aufgeregtheit abgelegt hatte. Das freute ihn. Die Methode, vor einer Operation über den Samen und die Menschwerdung zu plaudern, hatte sich wieder einmal bewährt. Besonders jüngere Patienten, die sich für alles Geschlechtliche brennend interessierten, waren dieserart gut abzulenken. »Das Kind ernährt sich von Blut, das aus dem ganzen Leib der Mutter zu ihm hinfließt und von der Säuglingshülle zurückgehalten wird, von der es umgeben ist.«
    Vitus drückte ein drittes Mal gegen den Wasserbruch und kniff kräftig in die Haut des Skrotums. Wie erhofft, blieb jegliche Reaktion aus. »Du wirst bei der Operation kaum Schmerzen spüren.«
    »Ich danke dir, Cirurgicus, ich danke dir!«
    »Warte damit, bis der Eingriff vorüber ist. Es wird trotz allem nicht sehr angenehm werden. Es geht los. Gib mir das Skalpell, Magister … ja, das mit der geballten Klingenform.«
    Er nahm es und machte damit einen behutsamen Schnitt von oben nach unten über die gesamte Länge des Skrotums. Mit der linken Hand zog er dabei die gespannte Haut vom Körper weg.
    Furqan hielt die Augen fest geschlossen und ballte die Fäuste vor Aufregung.
    »Bleib ganz ruhig«, sagte Vitus. Nachdem der Schnitt vollzogen war, nahm der Magister einen Wundhaken und hielt damit von der anderen Seite her die Wunde auseinander. Die aufgetrennte Haut blutete nur schwach. Zwischen den Rändern wurde etwas sichtbar, das wie eine große Fischblase aussah – der Hoden mit der aufgeschwemmten Hauthülle. Schräg dahinter, fast verdeckt, schimmerte blass und vergleichsweise klein der zweite Hoden.
    Vitus hielt inne, und der Magister fragte: »Was überlegst du jetzt?«
    »Ich frage mich, ob ich vor dem Schnitt noch punktieren soll.«
    »Ich würd es nicht tun«, sagte der kleine Gelehrte. »Ich würde gleich schneiden, denn jetzt steht die Hülle noch unter Spannung, da geht’s leichter.«
    »Du hast wie immer Recht.« Vitus schnitt rasch und geschickt in die Hülle hinein, und augenblicklich schoss ihm ein Schwall gelber wasserartiger Flüssigkeit über die Hände, während der kleine Gelehrte nach wir vor die Wunde auseinander hielt.
    Nachdem er die Hülle nahezu vollständig entfernt hatte, sagte er: »Das Wichtigste scheint geschafft zu sein.«
    Furqan rührte sich nicht. Er hielt die Augen immer noch fest geschlossen, nur seine Lippen bewegten sich. Vielleicht betete er.
    Vitus sprach weiter: »Eigentlich habe ich nichts anderes gemacht als der Starstecher.«
    »Wieso?« Der kleine Gelehrte reichte ihm Nadel und Faden, wobei die Nadel aus reinem Gold bestand, denn das edelste aller Metalle, so des Cirurgicus’ These, beschleunigte nach seiner Verwendung den Heilvorgang.
    »Der Starstecher hat ein kleines Loch in die Hülle gestoßen, um die Flüssigkeit abzulassen, ich habe ebenfalls ein Loch hergestellt, wenn auch ein hundertmal so großes.«
    »Und wo ist dann der Unterschied?«
    »Das kleine, durch die Punktierung entstandene Loch konnte immer wieder zuwachsen, wodurch sich die Disharmonie zwischen Hoden und Hülle jedes Mal erneut vermehrte. Das von mir geschnittene Loch ist aber so groß, dass es sich nicht wieder schließen kann.« Vitus verknotete sorgfältig die Naht und schnitt den Faden ab.
    »Verstehe«, sagte der Magister. »Eigentlich ganz einfach.«
    Vitus rief: »He, Furqan, du kannst die Augen wieder öffnen! Die Operation ist vorbei. Deine Schwierigkeiten dürften von nun an behoben sein.«
    Der Jüngling blickte ungläubig auf sein Gemächt, das wieder Normalgröße angenommen hatte.
    »Durch die Skalpellschnitte und die Wundnaht wird das Skrotum noch einmal anschwellen.« Vitus lächelte beruhigend. »Diesmal allerdings aus einem erfreulichen Grund, nämlich dem des Heilvorgangs.« Er griff noch einmal in seine Kiepe und holte die Salbe von Doktor Chamoucha hervor. Sie war zwar nicht speziell zur Wundheilung hergestellt, sondern eher zur Förderung der Durchblutung, doch er hatte keine

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