Die Mission des Wanderchirurgen
körperlichen Anstrengungen entgegen. Außerdem barg jede Reise, und war sie noch so gut vorbereitet, Gefahren. Das Vorland der Wüste war nicht minder gefährlich als die Wüste selbst. Es gab hier ebenso Echsen, Skorpione und Hornvipern wie Spinnen und Taranteln, Zecken, Schrecken und anderes Ungeziefer. Von den gefährlichen Sandstürmen einmal ganz abgesehen.
»Mit dieser Reise, meine Freunde«, sagte Sîdi Moktar mit leuchtenden Augen, »schlage ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens komme ich endlich dazu, mir die Märkte von Oran zu erschließen, denn es war schon lange mein Wunsch, dort Kontakte zu knüpfen und ein eigenes Kontor einzurichten. Haupthandelsgut sollen zunächst meine berühmten gelben Pantoffeln sein. Ich werde ein paar Tausend auf Lastkamelen dorthin schaffen lassen.«
»Und zweitens?«, fragte Vitus.
»Zweitens vermeide ich auf diese Weise, euch vor die Tür setzen zu müssen, denn das, bei aller Freundschaft, wäre früher oder später der Fall gewesen. Und dann, wie gesagt, liefet ihr Gefahr, als ehemalige Sklaven erkannt und denunziert zu werden. Dieser Gefahr kann ich euch als Gastgeber natürlich nicht aussetzen. So aber ist alles aufs Schönste geregelt: Ihr werdet weiterhin Gäste in meinem Zelt sein und gleichzeitig zügig vorankommen.«
Er nahm einen letzten Bissen und bereitete die Wasserpfeife vor. »Ihr seht, ein Hadschi hält sein Versprechen: Ich verrate euch nicht, im Gegenteil, ich verhelfe euch sogar zur Flucht.« Sein Gesicht nahm einen spitzbübischen Ausdruck an. »Ich kann schließlich nichts dafür, wenn mich Geschäfte nach Oran treiben und ihr mich begleitet, weil ihr zufällig dasselbe Ziel habt, oder?«
»Wui, wui, das kannste holmen, Buntmann.«
»Wir sind dir sehr dankbar«, sagte Vitus.
Alle sechs standen auf und gaben dem zierlichen Handelsherrn nacheinander die Hand.
Alb wollte auch etwas sagen, aber lediglich ein Gurgeln entströmte seinem Mund.
So schlug er einfach nur das Kreuz und verneigte sich.
Es war an einem der ersten Augusttage, als sich ein stattlicher Zug auf den Weg machte, die gut geschützte Stadt Fez in nordöstlicher Richtung zu verlassen. Die Vorhut bildeten vier Reitersoldaten, von denen einer die Funktion des Khabirs innehatte. Alle waren bewaffnet mit Schwert, Dolch und Muskete. Die Nachhut bestand aus ebenso vielen Männern. Dazwischen zog sich – Tier hinter Tier – die Karawane endlos hin. Vorne gingen die Lastkamele, hoch beladen mit der Handelsware, den gelben Pantoffeln, dahinter weitere Tragetiere, die alles das auf dem Rücken hatten, was Sîdi Moktar und seine Gäste zum angenehmen Reisen brauchten: Zelte, Decken, Kissen, Feuerholz, Gerätschaften zum Kochen und Essen, Utensilien für den körperlichen Bedarf, Nahrung von verschiedenster Form und Güte, Töpfe, Pfannen, Tabletts und Teller, Wasser in großen Mengen für Mensch und Tier, ja, sogar das spezielle Rosenwasser für die Shisha des Herrn.
Sîdi Moktar selbst ritt auf seinem milchweißen Kamelhengst namens Dschibril, einem eigenwilligen Tier, das nur ihn und den zuständigen Pfleger in seiner Nähe duldete. Über ihm spannte sich ein großflächiger Seidenschirm, der die Kraft der Sonnenstrahlen wirksam abfing.
Vitus und die Seinen saßen ebenfalls im Kamelsattel, was eine völlig neue Erfahrung für sie war, nachdem sie die Wüste bislang nur als Wanderer durchschritten hatten. Die Dienerschaft schließlich musste auf Maultieren reisen, wobei sie von Glück sagen konnte, dass sie dies überhaupt durfte. Nicht jeder Herr verfuhr so großzügig mit seinem Gesinde, aber Sîdi Moktar stand auf dem Standpunkt, dass erschöpfte Diener schlechte Diener waren, und er legte nun einmal Wert auf untadelige Versorgung, gerade im unwirtlichen Vorland der Wüste.
Links und rechts des Mittelteils der Karawane ritten jeweils zwei weitere Soldaten Streife. Einer von ihnen drängte sich gerade an den weißen Kamelhengst heran und sagte: »Die Vorhut schickt mich, Herr, ich soll melden, dass in einer Stunde die Sonne untergeht. Es wäre jetzt Zeit, das Nachtlager aufzuschlagen.«
»Schaffen wir es heute nicht mehr bis Tahala?«, fragte Sîdi Moktar unwirsch.
»Nein, Herr, wir müssten dann die halbe Nacht durchreiten, und außerdem sind die Tiere erschöpft. Sie brauchen Futter und Wasser.«
»Nun ja, es ist Allah, der die Geschwindigkeit vorgibt«, fügte sich Sîdi Moktar ins Unvermeidliche.
Bald darauf saß er mit Vitus und seinen Gefährten am
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