Die Mission des Wanderchirurgen
Verzeihung, die Damen … Oooh … Oooh …‹, stieß er immer wieder aus.«
»Was hatte er denn?«
»Einen Blasenstein, wie sich später herausstellte. Mit Hilfe des Magisters und eines Offiziers befreite ich ihn von seinem Leiden. Ich will nicht näher auf die Operation eingehen, denn die Schilderung würde uns den Appetit verderben.«
»Ich verstehe, ich verstehe.« Sîdi Moktar schob weitere Honignüsse in den Mund. »Was ich mich aber frage, ist, woraus denn nun die Strafe Allahs, äh, ich meine, Gottes, bestand?«
»Er wurde wenig später bei einem Piratenüberfall jämmerlich erschlagen.«
»Ja, ja, so geht’s.« Sîdi Moktar nickte verständnisvoll. »Nirgendwo auf der Welt zahlt Geiz sich aus. Welch armer Wicht ist es, der die Freuden des Gastgebers nicht mit seinen Gästen zu teilen versteht! Darf ich euch noch etwas anbieten?«
Und als die Gefährten ablehnten, sie seien schon mehr als gesättigt, sagte er: »Dann erlaubt mir, dass ich mein Nachtgebet spreche. Mit Allahs Hilfe werden wir morgen die Stadt Taza hinter uns lassen und bis zum Wadi Moulouya vorstoßen.«
Die Freunde wünschten ebenfalls eine gute Nacht und hörten später in ihren Zelten den verhaltenen Gebetsruf ihres so großzügigen Gastgebers:
»Allah akbar … ashadu annaha lahilaha illa’llah … lahila il Allah Mohammad ressul Allah … anna … illa’llah …«
Der dritte Reisetag verlief genauso harmonisch wie die vorhergehenden. Am Abend, sie waren noch ein gehöriges Stück am Wadi Moulouya entlanggeritten, bauten die Diener die Zelte auf und richteten alles zu einem ergiebigen Mahl her. Danach traf Sîdi Moktar mit seinen Gästen zusammen, und nach dem Gebet und der Handreinigung begannen sie sich an den Speisen gütlich zu tun.
Gerade wollte der Cirurgicus eine Geschichte erzählen, da wurde er von Schreien und Musketenschüssen unterbrochen. Die Freunde sprangen auf und blickten sich um, doch außer den Dienern konnten sie niemanden erspähen. Da! Einer ihrer Soldaten näherte sich in wildem Galopp und brachte erst kurz vor ihnen seinen Hengst zum Stehen. Zwei weitere Soldaten kamen ebenfalls herbeigeloppiert, darunter der Khabir. »Sîdi Moktar!«, rief er mit heiserer Stimme. »Überfall! Diebespack will unsere Kamele stehlen! Rasch, versteckt euch hinter den Zelten, dort wird der Feind euch nicht entdecken.«
Doch dagegen hatten Vitus und die Freunde etwas, die sich keineswegs verstecken, sondern kämpfen wollten. »Gib uns Waffen!«, riefen sie, »wir werden uns und die Güter von Sîdi Moktar verteidigen.«
Der zierliche Handelsherr war kreidebleich geworden. »Nein, tut das nicht. Ich bitte euch! Bleibt bei mir. Der Zwerg hat ohnehin nicht den Körper eines Kriegers, und der Magister ist kurzsichtig. Bleibt bei mir.«
Da Sîdi Moktar sie so inständig bat, fügten sie sich und traten mit ihm hinter die Zelte, während die drei Soldaten zurück zur Kamelherde hetzten, um ihren Kameraden im Kampf gegen die Feinde zu helfen. Der zierliche Handelsherr war noch immer außer sich ob des Überfalls und rief ein ums andere Mal: »Wie schrecklich, wie schrecklich! Ob Allah mich strafen will, weil auch ich zu viel wollte? Wird es mir ergehen wie dem Frommen und seinem Butterkrug? Oder wie dem Mann mit seiner zu kleinen Rute? Oh, Allah, du Herr der Ka’aba, gib mir ein Zeichen, und ich will auf der Stelle umkehren und von meinen Handelsvorhaben in Oran ablassen.«
Doch Allah sandte kein Zeichen, jedenfalls kein außergewöhnliches. Die Nacht war bitterkalt wie immer, und die Reisenden froren alsbald erbärmlich, schlugen sich die Arme um die Körper und hüpften auf der Stelle, um sich warm zu halten. Plötzlich rief Vitus: »Ngongo und Wessel, wo seid ihr? Ich sehe euch nicht? Wo seid ihr? Meldet euch!«
Nun riefen alle nach den Gefährten, bis der Magister den Finger auf die Lippen legte: »Pssst, Freunde, merkt ihr nicht, dass sie ganz offenbar fort sind? Mit unserem Lärm verraten wir dem Diebesgesindel womöglich nur, wo wir stecken. Und der Gedanke, dass irgendeiner der Mordbuben mir den Bauch aufschlitzt, will mir gar nicht behagen.«
Vitus hieb in die gleiche Kerbe: »Der Magister hat Recht, was wir tun, ist sinnlos.«
Sie schwiegen und zitterten weiter in der Kälte. Endlich, nach einer Ewigkeit, näherten sich ihnen dunkle Schatten. Freund oder Feind?, fragten sie sich voller Sorge. Doch es war der Khabir mit seinen Männern, und sie brachten nicht nur die vermissten Ngongo und Wessel mit,
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