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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ein«, sagte der Magister.
    »Bei der Gelegenheit fällt mir eine zweite Erzählung ein, es ist die ›Geschichte von den drei Wünschen‹ und stammt aus der Fünfhundertundsechsundneunzigsten Nacht. Hauptfigur ist ein Mann, dessen ganzes Sinnen und Trachten es war, einmal die ›Nacht der Allmacht‹ zu schauen. Aber bevor ich weiter erzähle, muss ich wohl erklären, was es damit auf sich hat: Man versteht darunter jene Nacht, in der Allah unser Heiliges Buch dem Erzengel Gabriel offenbarte, welcher es seinerseits dem Propheten offenbarte. In dieser Nacht sollen sich alle Schicksale der Menschen für das kommende Jahr entscheiden.
    Doch zurück zu unserem Mann. Als er eines Nachts hinauf zu den Sternen blickte, sah er, wie die Tore des Himmels sich öffneten und alle Wesen sich dahinter niederwarfen und Allah priesen. Aufgeregt lief er danach zu seiner Frau und sagte: ›Allah in seiner Gnade hat mich die Nacht der Allmacht sehen lassen, und mir ist verheißen worden, ich hätte drei Wünsche frei. Was rätst du mir, dass ich mir wünsche?‹ Und die Frau antwortete: ›Bitte Allah, er möge dir eine größere Rute schenken.‹ Der Mann gehorchte, und kaum dass er seinen Wunsch ausgesprochen hatte, wurde seine Rute so groß wie ein Schlangenkürbis. Sehr zum Erschrecken seiner Frau, die sich ihm von Stund an versagte. Wochen der Enthaltsamkeit gingen ins Land, und irgendwann, als er es nicht mehr aushielt, rief er: ›Das habe ich nun davon, Weib! Dabei war es doch deine Brunst, die mich zu diesem Wunsch verleitete!‹ Da antwortete sie ihm: ›Wie konnte ich wissen, dass deine Rute so groß werden würde.‹ Verzweifelt sprach der Mann daraufhin zu Allah: ›Oh, Herr, befreie mich von diesem Monstrum.‹ Und Allah der Allesverstehende erhörte ihn und machte ihn völlig glatt an der Stelle, wo früher der Schlangenkürbis gehangen hatte. Das passte der Frau nun auch wieder nicht, und sie beschwerte sich: ›Was soll das? Jetzt mag ich dich überhaupt nicht mehr, da du deinen Mann nicht mehr stehen kannst.‹ Der Gatte aber heulte: ›Mein ganzes Unglück kommt nur von deinen unseligen Forderungen! Ich hatte einmal drei Wünsche frei und hätte alle Güter des Himmels und der Erde erlangen können, und jetzt ist es nur noch einer!‹ Da sagte sie: ›Bitte zu Allah, er möge dich so wiedererschaffen, wie du einmal warst.‹ Also betete er und wurde, wie er gewesen war.«
    Sîdi Moktar hielt inne und genoss das Gelächter seiner Zuhörer. »Ja, auch diese Geschichte lehrt uns, dass man niemals zu viel begehren soll.«
    »Wui, Buntmann, das kannste stechen. Jeder soll quitt sein mit seinem Stänglein. Der Große Machöffel hat’s so gerichtet!«
    »Genau, genau«, pflichtete ihm der Magister bei.
    Alb, Wessel und Ngongo nickten vergnügt.
    Vitus sagte: »Ich kenne auch eine Geschichte, die da lehrt, dass Gott der Erhabene die Bäume nicht in den Himmel wachsen lässt. Wir haben sie selbst erlebt. Es ist die Geschichte von dem Geizhals Archibald Stout, einem englischen Kapitän, der seiner Mannschaft nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnte.«
    »Du musst sie unbedingt erzählen.« Sîdi Moktar versuchte ein Gähnen zu unterdrücken, doch es gelang ihm nur teilweise. »Verzeih meine Unhöflichkeit, aber vielleicht ist es doch ein wenig spät geworden. Könntest du die Geschichte vielleicht morgen zum Besten geben?«
    Damit war Vitus natürlich einverstanden, und nachdem sie einander eine gute Nacht gewünscht hatten, begaben sie sich zur Ruhe.
     
    Am anderen Tag zog die Karawane am Rande des Wadis Inaouene entlang, rastete mittags an einem alten Ziehbrunnen, passierte Tahala und kam gegen Abend wohlbehalten am vorgesehenen Lagerplatz an.
    Als die Speisen aufgetischt waren und die Freunde sich den Genüssen des Leibes widmeten, sagte Sîdi Moktar: »Cirurgicus, ich gestehe, dass ich nun die Geschichte des Kapitäns namens Stout gerne hören würde. War der Mann tatsächlich so geizig?«
    »Das kannste holmen, Buntmann!«, antwortete der Zwerg lebhaft.
    »Ja, das war er. Er war der Eigner der
Gallant
, eines Frachtseglers, mit dem meine Freunde und ich nach Neu-Spanien fahren wollten. Nicht nur, dass er uns einen horrenden Preis für die Passage abknöpfte, er spannte uns auch für Bordarbeiten ein, ich zum Beispiel war nicht nur Passagier, sondern gleichzeitig Schiffschirurg, und der Magister war mein Assistent. Enano machte er einfach zum Koch, denn es fehlten ihm große Teile der Mannschaft. Die Männer

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