Die Mission des Wanderchirurgen
war zu persönlich, als dass es jemand anders außer ihrem Töchterchen hören durfte. »Zunächst zu der Redensart vom rücksichtslosen Stier: Wir Frauen verstehen darunter einen Mann, der seinen Gemahlinnen täglich beiwohnen will, egal, ob ihnen danach ist oder nicht. Er allein bestimmt und setzt sich über ihre Wünsche hinweg. Fast immer ist es ein ungehobelter Kerl, der nur seine Lust will, und das möglichst schnell. Er kommt von oben, stößt sein Glied in sie hinein und ist fertig, noch ehe sie sich besonnen haben. Er ist eben nur dumm und stark und versteht nichts von den Freuden der Liebe.«
»Die Freuden der Liebe? Das klingt, als gäbe es mehrere Freuden, Mutter?«
»So ist es auch, meine kleine Wildrose. Wie heißt es so schön? Wer den ersten Schritt tut, muss auch den zweiten tun. Ich will dir deshalb alles sagen, was ich weiß. So gut ich kann. Gedulde dich einen Augenblick.«
Nâdschija verschwand im Zelt und kam kurz darauf wieder zum Vorschein, ein schweres Buch in den Händen haltend. »Das, was du hier siehst, ist eine Anleitung zur Liebe. Allein schon an den vielen Seiten erkennst du, wie viele Freuden es zwischen Mann und Frau gibt. Es heißt in den alten Geschichten immer, ›Er lag die Nacht bei ihr‹, was sich so anhört, als läge man grundsätzlich nebeneinander, aber das ist nicht der Fall. In Wahrheit gibt es unzählige Stellungen, die Mann und Frau bei der Liebe einnehmen können, und dieses aus Indien stammende Buch zeigt sie alle. Wir können die Beschreibungen dazu zwar nicht lesen, aber die Zeichnungen sprechen für sich.«
Die Mutter schlug das Buch auf und wies auf zwei nackte Körper. »Hier liegt die Frau mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken; der Mann ist über ihr und führt sein Glied ein. Das ist die häufigste Art, sich zu lieben. Der Mann kann sich dabei völlig frei bewegen, die Frau steuert durch Anziehen der Beine, wie tief der Penis in sie eindringt.«
»Der ist ja furchtbar groß, Mutter! Das muss ja weh tun!«
Nâdschija kicherte. »Keine Sorge, meine kleine Wildrose. Du musst wissen, dass solche Zeichnungen von Männern gemacht werden, und für Männer gibt es nichts Wichtigeres, als ein großes Glied zu haben. Der Wunsch ist hier der Vater des Gedankens; die Wirklichkeit sieht anders aus – kleiner.«
Einigermaßen beruhigt fragte Budûr: »Und wo hinein steckt der Mann das … das Ding?«
»In die Scheide. Also genau in die Öffnung, aus der auch die Monatsblutung herausfließt. Nur eben nicht an den unreinen Tagen.«
»Ja, Mutter.« Die Öffnung war Budûr vertraut, denn von ihr war viel die Rede. In ihr saß die Jungfernhaut, von deren Existenz und unversehrtem Zustand sich zwei alte Frauen vor Antritt ihrer Reise noch einmal überzeugt hatten. Sie waren sehr behutsam vorgegangen, viel behutsamer als die anderen Weiber damals, die sie beschnitten hatten. Budûr schloss die Augen, sie durfte nicht daran denken. Zu grausam war es gewesen, was man mit ihr angestellt hatte, sie hatte geblutet wie ein Huhn, dem man den Kopf abschlägt. Deshalb war der Schock bei ihrer ersten Monatsregel auch so groß gewesen … Sie vermochte sich beim besten Willen nicht vorzustellen, was ein Mann schön daran finden konnte, sein Ding in sie hineinzustecken, aber offenbar war es ungeheuer wichtig. »Was ist an der ganzen Sache eigentlich so wichtig?«, sprach sie ihren Gedanken aus.
»Wichtig?«, wiederholte Nâdschija erstaunt. »Ohne den Liebesakt entstünden keine Kinder, meine kleine Wildrose. Allah hat es so eingerichtet, dass es Freude macht, ein Leben zu zeugen. Kinder wachsen zu Frauen und Männern heran, die Allah preisen und wiederum Kinder zeugen. Es ist der Lauf der Welt, den der Erhabene, der Barmherzige für alle Ewigkeiten vorgesehen hat.«
»Aber was macht denn daran so viel Freude?«
»Das Gefühl, das man dabei empfindet. Das Gefühl! Es kann überwältigend schön oder auch gar nicht vorhanden sein, je nachdem, welche Stellung das Paar einnimmt. Sieh mal, hier liegt die Frau auf dem Bauch, und der Mann dringt von hinten in sie ein. Gleichzeitig greift er unter sie und streichelt die kleine Stelle, die oberhalb der Scheide liegt. Du weißt doch, welche Stelle ich meine?«
»Ja, ich glaube, ja.«
»Sei froh, dass du sie noch hast. Bei der Pharaonenbeschneidung wäre auch sie fort gewesen, aber das habe ich verhindert. Nirgendwo im Heiligen Buch steht geschrieben, dass nur der Mann Lust verspüren darf. Auch die Ehefrau hat ein Recht darauf.
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