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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Auf der nächsten Seite kannst du erkennen, wie man es am bequemsten macht: in der Seitenlage. Sie empfiehlt sich besonders, wenn die Frau schwanger ist …«
    Nacheinander erklärte Nâdschija die Positionen in allen Einzelheiten, nannte Vor- und Nachteile, beantwortete Fragen, so gut sie konnte, und musste dann und wann auch zugeben, dass sie mit den Abbildungen nichts anzufangen wusste.
    Es war ein gutes Gespräch. Budûr spürte, dass sie ihrer Mutter so nah war wie nie zuvor, und das sagte sie ihr auch.
    »Meine kleine Wildrose.« Nâdschija drückte die Hand ihrer Tochter. »Wie schön, dass du das sagst. Warum musste es sein, dass wir erst so spät zueinander finden? Jetzt, wo wir nur noch zwei Tagesreisen von Oran entfernt sind?«
    Budûr schwieg. Doch die Art, wie sie sich an die Schulter ihrer Mutter lehnte, sagte mehr als tausend Antworten.
     
    Einen Abend später lagen Unruhe und Erwartung über der großen Karawane. Die Hafenstadt Oran war zum Greifen nah. Schon am nächsten Mittag würde man sie erreichen. Nachdem die Abendmahlzeit eingenommen und die Gebete verrichtet waren, legte sich jedermann früh zur Ruhe. Alle wussten: Die große Stadt würde anstrengend werden – und die Feierlichkeiten nicht minder. Da war es nur klug, ein wenig vorzuschlafen.
    Doch es gab auch Menschen, die ihr Lager noch nicht aufsuchten. Dazu zählten die Wachen und auch Nâdschija und Budûr. Sie hatten sich viel zu erzählen, viel zu viel, als dass sie einen Gedanken an Schlaf verschwenden wollten. Jede Einzelheit der Hochzeit wurde wieder und wieder von ihnen durchgesprochen, wobei die Rollenverteilung eindeutig war: Budûr fragte, und Nâdschija antwortete.
    »Welches Kleid werde ich tragen, Mutter?«, wollte Budûr wissen.
    »Eine schneeweiße Gandoura mit halblangen Ärmeln, edelsteinbesetzt und über und über mit Spitze verziert. Es ist ein Gewand, das dein Vater sich ausdrücklich wünschte, denn es spiegelt am besten seinen Wohlstand wider. Aber sag ihm nicht, dass du es schon weißt. Er möchte dich damit überraschen. Auf dem Kopf wirst du natürlich den Hidschab tragen, allerdings keinen schwarzen, sondern einen weißen, damit er zur Gandoura passt, und darüber ein Krönchen aus Gold, wie eine richtige Prinzessin.«
    »Oh, Mutter, ich kann es kaum erwarten zu heiraten! Sag, irgendwann wird Kamar mir doch den Schleier abnehmen, und dann darf er nicht enttäuscht werden. Ich muss schön sein auf meiner Hochzeit! Hilfst du mir beim Schminken vorher?«
    »Ja, meine kleine Wildrose. Ich werde dir helfen, damit du weißt, wie wir Frauen uns unwiderstehlich machen. Deine Lippen werden mit Henna gefärbt sein und deine Brauen und Wimpern mit schwarzem Bleiglanz, damit deine Augen noch größer wirken als jetzt. Du wirst am ganzen Körper gesalbt sein, damit deine Haut wie eine Perle schimmert, du wirst mit Rosenwasser und Moschus besprengt sein, damit dein Duft auf Kamar verführerisch wirkt. Du wirst die Schönste sein, verlass dich darauf.« Nâdschija strich Budûr über den Kopf. »Kamar wird eine Braut bekommen, ich aber werde ein Töchterchen verlieren. Doch das ist seit undenklichen Zeiten so, ich muss mich damit abfinden.«
    »Wir werden uns regelmäßig besuchen, Mutter. Auch kann ich dir schreiben, wozu habe ich jahrelang die Koranschule besucht!«
    »Das wäre wunderbar.«
    Nâdschija wandte sich ab, denn sie wollte nicht, dass Budûr sah, wie ihr die Tränen kamen.
    Sie wusste, nach der Hochzeit würde sie ihre kleine Wildrose nie wiedersehen.
     
    Auf dem Platz des Großen Propheten brach mit lautem Getöse die Musik los. Hornbläser und Flötisten entlockten ihren Instrumenten schrille Töne, Trommler ließen die Stöcke wirbeln, Männer mit Rasseln und Becken fielen ein. Es war ein Höllenlärm, der meilenweit zu hören war, ein Spektakel, das niemanden unberührt ließ.
    Die Neugierigen, und davon gab es Hunderte, begannen alsbald zu tanzen, stampften dabei mit den Füßen auf, drehten sich, bewegten sich um die Garküchen, die fliegenden Händler, den Tisch des Stadtbeamten und das riesige Zelt herum, in dem schon gestern den ganzen Tag über gefeiert worden war. Die Familie des Bräutigams war aus allen Himmelsrichtungen angereist, hatte sich hier versammelt und war zum ersten Mal offiziell auf Harun el-Chalidân und die Seinen getroffen. Ein denkwürdiger Moment, und ein von langer Hand vorbereiteter, denn an den vorangegangenen Tagen waren von beiden Seiten sowohl die Mitgift mit ihren zahllosen

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