Die Mission des Zeichners
erkannte Spandrel, dass Buckthorn und Silverwood darin saßen. Ihr Ziel war der Flusshafen. Wie hatten sie erfahren, wo er zu finden war? Hatte jemand sein Gespräch mit dem Kaleschenkutscher am Marcello-Theater belauscht?
Aber das war jetzt müßig. Als Spandrel einen Blick über die Schulter riskierte, stellte er entsetzt fest, dass sie die Pferde zum Stehen brachten. Sie hatten ihn gesehen. Und sie würden seine Droschke schnell einholen, da brauchte er sich keine falschen Hoffnungen zu machen. Und selbst wenn er ihnen jetzt entwischte, was würde er gewinnen, solange er seine Richtung beibehielt? Er würde sie nur zur Piazza del Popolo führen und Estelle in Gefahr bringen.
Das Viertel zu seiner Linken bestand aus einem Geflecht von Gassen und Hinterhöfen, wo man zu Fuß schneller vorankam als mit jeder Kutsche. Diese Entscheidung traf er in Sekundenschnelle. Er sprang von der Droschke und rannte ohne sein Gepäck los.
»Spandrel!«, hörte er Silverwoods piepsende Stimme in seinem Rücken. »Wir wollen mit Ihnen reden!«
Er blieb nicht stehen.
Bald war Spandrel in Sicherheit - zumindest vor Buckthorn und Silverwood. Trastevere war ein unergründliches Gewirr aus bunt durcheinander gewürfelten Hütten, in denen die Ärmsten der Armen von Rom in einem Elend lebten, das den Cat and Dog Yard beinahe begehrenswert erscheinen ließ. Kinder mit glanzlosen Augen und Frauen mit leeren Gesichtern sahen teilnahmslos zu, wie Spandrel an ihnen vorbeirannte. Seine Verfolger dagegen mit ihren pfauenhaften Kleidern - ganz zu schweigen von den goldenen Taschenuhren und silbernen Schnupftabakdosen - würden sich beträchtlicher Aufmerksamkeit erfreuen, sobald sie ihr Gefährt stehen ließen und sich ebenfalls in die engen Gassen stürzten.
Doch so unauffindbar, wie sich Spandrels Spur in Trastevere verlor, so hoffnungslos verlief er sich selbst. Wohin auch immer er abbog, jede Gasse schien bergauf zu führen, fort vom Fluss und immer weiter weg von seinem Ziel. Aus Furcht, Buckthorn und Silverwood in die Arme zu laufen, wagte er es nicht umzukehren, und so irrte er weiter durch gewundene Gassen und über zerbrechende Stufen, bis er auf einmal eine breite Straße erreichte, gesäumt von hinter hohen Mauern liegenden Gärten. Es war der Janiculum-Hügel. Von hier aus hatte er einen weiten Ausblick auf die Stadt und glaubte sogar, die Zwillingstürme der Kirche am Corso zu erkennen, der zur Piazza del Popolo führte. Aber was nützte ihm das jetzt noch - außer als Hinweis darauf, wie weit er von seinem eigentlichen Ziel entfernt war.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als der Stadtmauer um den Vatikan herum zu folgen und zu hoffen, dort eine Droschke anhalten zu können. Der Nachmittag war inzwischen weit fortgeschritten, und mit jeder Stunde, die er in Rom blieb, wurde seine Lage gefährlicher. Die Gabbiano war natürlich längst davongesegelt. Kurz, er hatte eine Gelegenheit verworfen, ohne zuvor eine andere ergriffen zu haben. Er beschleunigte seine Schritte.
Als Spandrel zu guter Letzt die Piazza San Pietro erreichte, kam er sich vor wie eine über den Strand irrende Ameise: ein winziger Punkt auf einer riesigen Fläche. Die Säulenreihen begrenzten einen Raum, der einfach zu überwältigend war, als dass er ihn noch zu fassen vermochte. Das im Wasser der Spritzbrunnen glitzernde Sonnenlicht fiel auf den Obelisken in der Mitte des Platzes, sodass dessen Schatten sich bedrohlich über ihn zu senken, ja, ihn zu schlucken schien. Und über diese Monumente hinaus ragten am anderen Ende des Platzes die Säulen und die gewaltige Kuppel des Petersdoms in den Himmel. Einen Moment lang verharrte er in Ehrfurcht, denn noch nie hatte er etwas von Menschenhand Geschaffenes gesehen, das derart erhaben war.
Doch er hatte keine Zeit, solch unerreichte Schönheit zu genießen. Eilig strebte er zu den Stufen vor der Peterskirche, an deren Fuß mehrere Kutschen warteten. Vielleicht war eine davon frei.
Er befand sich auf halbem Weg zwischen dem Obelisken und seinem Ziel, als er weiter rechts Schritte hörte. Er wandte den Kopf und erkannte Silverwood und blieb jäh stehen. Silverwood tat es ihm gleich. Dann verriet ihm eine zuckende Kopfbewegung des anderen, wo Buckthorn war - keine zwanzig Meter hinter Spandrel. Ruhig schlug dieser den Mantel zurück, und sein Schwert kam zum Vorschein.
Sie hatten Spandrel in die Zange genommen und ihm jeden Fluchtweg versperrt. Sie mussten erraten haben, wo er sich ein Gefährt suchen würde. Oder
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