Die Mission des Zeichners
worden, eine für die nummerierten Lose, die andere für die Preise und Nieten. Für ein Los aus der ersten Trommel wurde willkürlich ein Schein aus der zweiten gezogen. »Schau dir die Gesichter dieser Männer an, William«, hatte sein Vater, ein eingeschworener Feind von Glücksspielen, gesagt. »Kannst du daran erkennen, wer von ihnen Glück haben wird?« »Nein, Pa«, hatte William geantwortet. »Ganz richtig, Junge. Und du wirst es auch nie erkennen können. Denk immer daran: Je verzweifelter man gewinnen muss, desto sicherer wird man verlieren.«
Guter Rat, damals wie heute. Guter Rat, doch ein düsterer Wegweiser. Spandrel bedurfte eines zu seinem Los passenden Gewinns so dringend, dass Verzweiflung ein viel zu schwacher Ausdruck war. Und die Ziehung ließ sich nicht noch länger hinausschieben.
Als Spandrel nach Hause kam, schlief seine Mutter längst tief und fest. Dafür war er dankbar, denn ihm war nicht daran gelegen, dass sie sah, wie betrunken er war, und er hätte sich auch nicht in der Lage gefühlt, zu ihrer Beruhigung so zu tun, als ob alles in bester Ordnung wäre. So legte er sich unverzüglich ins Bett und fiel auf der Stelle in einen tiefen Schlaf.
Daraus riss ihn - wie das durch die Fenster einfallende Licht ahnen ließ - am frühen Morgen ein Durcheinander aus lauten Rufen und wütend stampfenden Füßen. Er hörte seine Mutter mit angsterfüllter Stimme heftig protestieren. Dann sprang die Tür zu seinem Zimmer auf, und mehrere große, kräftige Männer kamen hereingestürmt.
»Schnappt ihn euch!«, rief jemand.
»Wer sind Sie?«, heulte Spandrel, als er aus dem Bett gerissen wurde. »Was wollen Sie von mir?«
»Wir wollen Sie, Spandrel. Ziehen Sie sich was an. Mr. Walpole wird Sie nicht im Nachthemd sehen wollen.«
»Mr. Walpole?« Der Name traf Spandrel wie ein Eimer voll kaltem Wasser. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Es war geschehen. Was immer McIlwraith geplant hatte - er hatte es getan.
36 Der Jäger als Gejagter
Weiße Tünche und durch das Gitterfenster hoch oben hereinsickerndes Sonnenlicht waren zu wenig, um den Keller in der Whitehall, in den man Spandrel gesperrt hatte, aufzuhellen. Es war klamm und kalt, Feuchtigkeit klebte an den im Boden verankerten Eisenringen, und in der schalen, frostigen Luft bildete sein Atem kleine Wolken, die sich nur langsam auflösten.
Die einzige andere Person in dieser Zelle schritt zwischen der Wand und dem Tisch, der sie von Spandrel trennte, hin und her. Trotz der Kälte war Robert Walpole rot im Gesicht; er atmete schwer, und sein Kiefer bewegte sich rhythmisch, als kaute er an einem Stück Knorpel, das sich einfach nicht zerkleinern ließ. Hatte er schon in seinen besten Tagen etwas Einschüchterndes an sich, so verbreitete er im Zorn nackte Angst wie ein Stier, der mit den Füßen scharrt und jeden Moment auf sein Opfer losstürmen kann.
»Sie leben bei Ihrer Mutter, wie ich gehört habe«, knurrte Walpole, eine Bemerkung, mit der Spandrel am wenigsten gerechnet hatte.
»Ja, Sir.«
»Sie liebt Sie?«
»Ja, Sir.«
»Das wird sie immer tun. Denn sie ist Ihre Mutter.«
»Ah... ja, Sir.«
»Und Ihr Vater hat Sie auch geliebt?«
»Er... liebte mich auch, Sir. Aber ich...«
»Ich habe drei Söhne und zwei Töchter, Spandrel. Meine Alteste, Kate, hat ein schreckliches Leiden. Die Ärzte können nichts für sie tun. Sie wird von Anfällen und Fieber geschüttelt, dass es sogar Ihnen das Herz brechen würde. Sie ist noch keine neunzehn, doch es gibt keine Hoffnung für sie, keinen Funken.«
»Das... tut mir Leid, Sir.«
»Es tut Ihnen Leid? Glauben Sie etwa, das würde meinen Schmerz lindern?«
»Äh...«
»Nein, Sir!« Walpole drosch mit der Faust auf den Tisch. »Das ist nicht möglich. Sie stirbt einen langsamen Tod in Bath, unter entsetzlichen seelischen und körperlichen Qualen. Und ich kann ihr Leiden nicht lindern. Mein einziger Trost sind meine anderen Kinder. Robert, Mary, Edward und der kleine Horace. Sie sind alle wohlauf, Gott sei Dank.«
»Das freut mich...«
»Zumindest glaubte ich das. Bis gestern Nacht. Bis ich plötzlich eine Nachricht aus Eton erhalten habe.«
»Was für eine Nachricht, Sir?«
»Das wissen Sie nicht. Natürlich. Sie wissen kein verdammtes bisschen Bescheid!« Walpole kam um den Tisch herum und packte Spandrel an der Kehle. Die Hand war groß und der Griff so fest wie ein Schraubstock. »Ist es nicht so?«
Spandrel versuchte zu sprechen, brachte aber nur ein heiseres
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