Die Mission des Zeichners
schwerer ausfallen dürfte, wenn ich sie töte.«
»Lassen Sie die Pistole sinken!«, brüllte Negus. »Sofort!«
»Hierin kann ich Ihnen nicht zu Diensten sein, Colonel«, erwiderte McIlwraith. »Und falls Ihre Männer das Feuer eröffnen sollten, würden sie meiner Meinung nach neben meinem auch Mrs. Davenants Kopf durchlöchern. Ich kann Ihnen nur raten: Zügeln Sie Ihre Hand.«
»Lassen Sie mich gehen, Captain«, sagte Estelle im ruhigen Ton einer Aufforderung, nicht einer Bitte.
»Warum sollte ich?«
»Weil ich William vor dem Galgen retten kann, wenn Sie mich am Leben lassen. Töten Sie mich, dann verurteilen Sie ihn dazu, neben Ihnen aufgehängt zu werden.«
»Und Sie werden ihn retten?«
»Wenn Sie mir die Möglichkeit dazu geben - ja.«
»Darauf kann ich ohne Zweifel Ihr Wort haben.«
»Würde mein Wort Ihnen noch etwas bedeuten?«
»Nicht mal, wenn dieser Turm aus Bibeln gebaut wäre.«
»Ich schwöre es Ihnen trotzdem.«
»Zum Teufel noch mal, Sie haben so oder so Recht, ob Sie schwören oder nicht. Eine Kugel durch Ihren Kopf bedeutet einen Strick um Spandrels Hals. Und ich bin genauso sicher wie wahrscheinlich auch Sie, dass Negus Anweisung hat, mich zu fassen, koste es, was es wolle - sogar Ihr Leben.« McIlwraith ließ die Pistole sinken. »Gehen Sie zu Ihren Freunden hinunter, Madam, und denken Sie an Ihr Versprechen.«
»Das werde ich.«
Spandrel sah Estelle nach, wie sie langsam die Stufen hinunterstieg und es dabei vermied, sich mit der Hand an der Wand abzustützen, obwohl ein böiger Wind ihr die Haare unter dem Hut zerzauste und an ihrem Kleid zerrte. Als sie den ersten Treppenabsatz erreichte und sich umdrehte, sah sie zu Spandrel hinauf, doch ihre Augen lagen im Schatten, sodass er nicht erkennen konnte, was ihr Blick ausdrückte. Dann setzte sie den Abstieg fort. Nach oben schaute sie nicht mehr.
»Spandrel darf ihr folgen!«, rief Negus.
»Tun Sie, was der Mann sagt«, brummte McIlwraith. »Unten sind Sie besser aufgehoben als hier oben.«
»Werden Sie sich ergeben, Captain?«, fragte Spandrel auf halbem Weg zur Treppe.
»Halten Sie das für ratsam?«
»Walpole hat mir gesagt, dass er die Entführer zum Richtplatz schleifen, hängen und vierteilen lassen wird.«
»Ja. Und ihre Schädel lässt er bestimmt auf Pfählen aufgespießt vor dem Temple Bar verrotten. Falls das mit mir geschehen sollte, Spandrel, würden Sie dann in einer dunklen Nacht rauf klettern, den Kopf runternehmen und um der Meilen willen, die wir gemeinsam geritten sind, ordentlich beerdigen?«
»Ja, Captain, das würde ich.«
McIlwraith lächelte. »Guter Mann. Ich werde mein Bestes tun, um Ihnen das zu ersparen. So, nun machen Sie auf den Stufen keine Dummheiten. Wir wollen doch nicht, dass Colonel Negus Sie der Zusammenarbeit mit dem Feind verdächtigt.«
Spandrel begann den Abstieg. Auf dem Weg nach unten sah er zweimal hinauf, doch McIlwraith hatte keine Augen für ihn. Vielmehr schien er mit gegen die Sonne zusammengekniffenen Augen den Horizont zu betrachten.
Vom Fuß der Treppe zu Colonel Negus waren es nicht mehr als dreißig Schritte. In den wenigen Momenten, die es dauerte, bis Spandrel neben ihm stand, war ihm bereits klar geworden, dass er ganz anders behandelt werden würde als Estelle. Sie stand zusammen mit dem jungen Walpole, einem Arzt und einem Unteroffizier etwas abseits des Weges. In dieser Gruppe herrschte eine Atmosphäre von Besorgtheit und Ehrfurcht. Spandrel dagegen wurde von Negus' durchdringendem Blick und rauer Stimme empfangen.
»Stellen Sie diesen Mann unter Arrest, Captain Rogers«, befahl er seinem Adjutanten. »Wir sind nicht sicher, auf welcher Seite er steht.«
Sofort wurde Spandrel von zwei kräftigen Soldaten unter den Armen gepackt und beiseite geschleift. Er leistete keinen Widerstand, ja, er protestierte nicht einmal. Eigentlich hatte er damit gerechnet. Nur fehlte ihm die Kraft, sich vorzustellen, was das bedeutete.
»Captain McIlwraith!«, hörte er Negus rufen. »Schießen Sie Ihre Kugel in die Luft, legen Sie das Schwert nieder, und steigen Sie mit erhobenen Händen die Treppe herunter!«
»Ich bin wie Sie Soldat, Colonel! Ich ergebe mich nicht so schnell.«
»Ihre Lage ist hoffnungslos.«
»Ja, das ist sie. Ob ich kapituliere oder nicht.«
»Geben Sie auf, Mann. Sie haben dem Jungen nichts getan. Das wird zu Ihren Gunsten gewertet.«
»Von Gott vielleicht, aber nicht von Walpole. Ich rate Ihnen, Ihre Männer zurückzurufen.«
»Ergeben Sie sich,
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