Die Mission des Zeichners
Antwort sehr zuversichtlich zu sein.«
Kempis bestätigte das kühl mit einem Nicken. »Ja«, sagte er, »das bin ich.«
Eigentlich wider besseres Wissen, aber in Einklang mit dem vernünftigen Grundsatz, wonach es klug ist, in schwierigen Fällen dem Urteil anderer zu folgen, machte sich Dalrymple sofort daran, eine Depesche zur schleunigsten Übersendung an das Außenministerium in der Whitehall vorzubereiten. Bis zu ihrer Ankunft würde es zwei Tage dauern und dann noch einmal drei oder vier bis zum Eintreffen der Antwort. Kempis würde seinen Bescheid also fristgerecht binnen einer Woche bekommen. Ton und Inhalt des Schreibens würden Dalrymple Klarheit darüber verschaffen, ob der Mann ein unverschämter Gauner oder ein findiger Stratege war. Er selbst konnte fürs Erste nicht beurteilen, was davon zutraf. Und er wollte lieber keine Wetten auf den Ausgang abschließen. So beherzigte er Kempis' Ratschlag, seine Fantasie nicht zu strapazieren.
Fantasie gehörte zu den wenigen Vergnügen, die William Spandrel in seiner Zelle unter dem Stadhuis von Amsterdam noch geblieben waren. Die Tage krochen dahin; messen konnte er sie nur an der zu- oder abnehmenden Leuchtkraft des Lichtflecks, der sich weit über ihm auf der Wand ausbreitete. Cloisterman kam nicht mehr zurück. Genauso wenig wurde Spandrel zu einem zweiten Verhör geholt. Es war, als hätten ihn bis auf die Wärter alle vergessen. Seine Wunden heilten, aber die magere Ernährung mit Brot und Sauerbier zehrte an seiner Kraft. Lediglich seine Gedanken schweiften frei umher, ob zurück in seine Vergangenheit oder weit hinaus in seine unklare Zukunft. Aber unweigerlich kehrten sie zu den zwei Fragen zurück, deren Antwort er nicht einmal raten konnte. Was enthielt die Depeschenkassette? Und warum war de Vries ermordet worden? Anscheinend nicht wegen seines Geldes. Doch es gab einen Grund, es musste einen geben. Spandrels Hoffnung, ihn herauszufinden, beruhte freilich auf anderen Menschen. Und das ließ sich wohl kaum Hoffnung nennen.
Nicholas Cloisterman war vielleicht der Einzige, von dem Spandrel noch etwas erwarten konnte. Immerhin hatte er versprochen, er würde sehen, was er für ihn tun könne. Zu Spandrels Pech war er in den Tagen nach seinem Besuch in den Zellen des Rathauses zu dem Schluss gekommen, dass das, was er tun sollte, weniger war als das, was er tun konnte, nämlich nichts. Zwar neigte er dazu, Spandrels Unschuldsbeteuerungen zu glauben, aber sich unnötig in eine derart verwickelte Affäre einzulassen, wäre doch sicher Wahnsinn. Wer sich mit den örtlichen Behörden anlegte, stieg im Konsulatsdienst nie weiter auf. Wenn der Vogt sich unbedingt einreden wollte, dass Spandrel ein Agent des Marquis de Prie sei, dann sollte er das eben tun. Spandrel war ein Mann ohne Bedeutung. Ob er lebte oder starb, niemand würde sich darum scheren; jedenfalls niemand, der ihn, Cloisterman, zur Rechenschaft ziehen könnte. Widerstrebend, wenn auch nicht allzu widerstrebend, verscheuchte er die Gedanken an ihn.
Seinen Vorsatz zu verwirklichen erwies sich jedoch als nicht so leicht, wie er angenommen hatte. Am Freitagmorgen saß er wie gewöhnlich bei einer Tasse Schokolade und ein paar Zügen an seiner Pfeife in Hoppes Kaffeehaus am westlichen Ende des Spui-Kanals und las eine zwei Wochen alte Ausgabe der Parker's London News. Er befand sich gerade mitten in der Lektüre einer Chronik über die Gräueltaten von Straßenräubern auf dem Finchley Common, als ein nicht zu überhörendes Räuspern seine Aufmerksamkeit auf einen hageren Kerl lenkte, der mit Leichenbittermiene vor seinem Tisch stand und über seinen Adlerschnabel von Nase hinweg kritisch auf ihn herabsah.
»Kann ich Ihnen helfen?«, bellte Cloisterman.
»Ich hoffe, dass Sie dazu in der Lage sind, Sir. Mein Name ist Jupe. Ich stehe in Diensten von Sir Theodore Janssen.«
»Janssen, sagen Sie?« Cloisterman schlug seine Zeitung zu. »Das ist merkwürdig.«
»Warum, Sir?«
»Nicht so wichtig. Was kann ich für Sie tun?«
»Mir wurde gesagt, ich würde Sie hier antreffen. Darf ich... mich zu Ihnen setzen?«
»Gern. Aber...« Cloisterman zog seine Uhr hervor. »Ich habe nur sehr wenig Zeit.«
»Selbstverständlich. Wir alle haben es eilig.« Jupe nahm Platz. »Sie sind Mr. Cloisterman, der Vizekonsul?«
»Ja.«
»Vielleicht können Sie mir helfen. Ich stelle in Sir Theodores Auftrag Erkundigungen an. Sie betreffen« - Jupe senkte die Stimme - »Mijnheer de Vries.«
»Mijnheer de Vries ist
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