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Die Mission

Die Mission

Titel: Die Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rod Rees
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oft um den Häuserblock gelaufen, dass sie nur noch in rechten Winkeln gehen konnten.
    Vanka dagegen war auf seinen Séancen auf eine Assistentin angewiesen, die so betörend war, dass die Männer im Publikum die Augen nicht von ihr abwenden könnten. Wie jeder gute Hellseher wusste er, dass ein hübsches Ding, das kaum mehr am Leib hatte als ein strahlendes Lächeln, ideal war, um die Aufmerksamkeit des Publikums abzulenken. Ablenkung war seine stärkste Waffe. Doch es war mehr als nur das. Das Mädchen – und Vanka legte großen Wert auf das Wort Mädchen, es musste jung sein – brauchte außerdem genügend Grips, um ihm bei seinen Tricks zur Hand zu gehen. Vor allem aber durfte es sich in seiner Naivität nicht bewusst sein, dass sie beide dran wären, falls man sie erwischte.
    Keine Chance … doch die Hoffnung stirbt zuletzt.
    Ella bog nach links in die Bottomley Road ein. Erleichtert stellte sie fest, dass es hier etwas ruhiger zuging und sie sich nicht länger mit Unmengen von Menschen herumzuschlagen brauchte. Als der Lärm der Sidney Street zu einem Hintergrundsgrummeln verebbt war, blieb sie einen Augenblick stehen, um sich zu sammeln. Am Ende der Straße sah sie The Prancing Pig, eine Lichtoase inmitten der zunehmenden Dämmerung. Zwar war das Lokal gut beleuchtet, es wirkte aber nicht besonders einladend. Ein Junge, der es bewachte, kauerte im Windschatten am Eingang. Er steckte in einem Armeemantel, der ihm mehrere Nummern zu groß war, wirkte kaum älter als zehn, paffte aber bereits eine Pfeife.
    Als Ella versuchte, die Tür zu öffnen, musterte er sie unter seiner zerschlissenen Tschapka, spuckte in die Gosse und sagte: »Bist du auch eins von den singenden Flittchen?«
    »Ich habe einen Termin zum Vorsingen«, entgegnete Ella barsch und klopfte mit dem Finger auf das schmuddlige Schild an der Kneipentür. »Das meinst du doch, oder?«
    »Immer mit der Ruhe, Schätzchen«, warnte sie der Junge und nahm verstimmt einen Zug von seiner Pfeife. »Du singst also Jad, was?«
    Ella erkundigte sich bei PINC . Jad war die Swing-Musik, die im JAD in Mode war – dem nuJu Autonomen Distrikt von NoirVille –, und in der Demi-Monde herrschte die Auffassung, dass nur Shades Jad annähernd originell singen konnten.
    »Ja, ich singe Jad.«
    »Ich soll euch von Burlesque bestellen, dass ihr den Hintereingang nehmen sollt.« Er nickte auf die Gasse neben dem Pig .
    Sie warf dem Jungen einen Penny für den Hinweis zu und stapfte die dunkle Gasse entlang. Nach fünfzehn Metern gelangte sie zu einer roten Doppeltür. Ella war nie zuvor in einem echten – na ja, soweit man in der Demi-Monde von echt reden konnte – englischen Pub gewesen und schreckte vor den Gerüchen zurück, die ihr entgegenschlugen. Dem süßlichen von ranzigem Schweiß, dem durchdringenden von verschütteter Lösung und einem allumfassenden Gestank von Moder und Fäulnis. Sowohl ihre Nase als auch ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an das Pig zu gewöhnen. Sie blinzelte, um nicht vom gleißenden Licht der Gaslampen geblendet zu werden, das den Raum erhellte und von den riesigen Spiegeln an den Wänden verstärkt wurde.
    Da es noch früh war, befanden sich höchstens dreißig oder vierzig Menschen in der Schenke. Die meisten Kunden schienen Arbeiter zu sein, die sich nach Feierabend ein Bierchen genehmigten und die Gelegenheit wahrnahmen, eine von Fliegen umschwärmte Magd anzumachen, die träge hinter der Theke stand und Gläser polierte. Am anderen Ende des Raumes saß eine Gruppe von fünf oder sechs stark geschminkten Frauen in reichlich lasziver Aufmachung um einen runden Tisch. Sie tranken Lösung und spreizten den kleinen Finger, wenn sie das Glas hoben, als wollten sie besonders vornehme Manieren imitieren. Auf einer langen Bühne gegenüber der Bar bauten drei Musiker ihre Instrumente auf.
    Als sie eintrat, wandten sich alle Blicke ihr zu.
    Nach kurzer Nachfrage bei PINC wusste Ella, dass Burlesque Bandstand der ungepflegte Fettsack war, der am Tisch in der Nähe der Bühne saß. Die vollbusige Blondine neben ihm war ein Flittchen namens Sporting Chance, und gegenüber den beiden hockte ein langhaariger Kerl. Langhaarig hin, langhaarig her, beunruhigenderweise konnte PINC ihr nichts über den Mann verraten. Er war ein unbeschriebenes Blatt. Ein hochgewachsenes, schlankes Mysterium mit einem blauen Fleck im Gesicht. Ella fand, dass Mr. Mystery trotz der Verletzung verdammt gut aussah. Die lässige Art, mit der er sich auf dem Stuhl

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