Die Mission
schüttelte sie vorsichtig. Vanka konnte Burlesques Angst sehr gut verstehen. Wenn man in den Rookeries jemandem die Hand entgegenstreckte, steckte üblicherweise ein Messer darin.
»Ella Thomas«, sagte die junge Frau leise.
»Sporting Chance«, sagte Burlesques Freundin, streckte ihr die Hand entgegen und warf ihrem Beau einen bösen Blick zu. Sporting hatte für Konkurrenz offensichtlich nichts übrig, vor allem nicht, wenn sie so hübsch war wie Ella.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen, Miss Chance.«
»Die Freude ist ganz meinerseits, Miss Thomas«, unterbrach Burlesque die beiden. »Und das hier is mein Freund Wanker.«
»Oberst Vanka Iwanowitsch Maykow, staatlich anerkannter Okkultist«, berichtigte ihn Vanka, während er die Hand der jungen Frau schüttelte. Doch schon während er das tat, verfluchte er sich. Er war von ihrer Schönheit derart bezirzt gewesen, dass er ganz vergessen hatte, einen Künstlernamen zu benutzen. Was, wenn sie eine von Skobelews Agentinnen war? Doch dann blickte er in ihre wunderbar klaren Augen und verwarf die Idee. Wer so gewinnend schaute, konnte nicht korrupt sein. Während er ihre Hand hielt, kehrten seine seherischen Fähigkeiten zurück. Die Haut war so weich, dass sie nie im Leben hart gearbeitet haben konnte. Sie war entweder eine vornehme Dame, der das Leben hart mitgespielt hatte, oder eine Edelnutte. Leider sagten ihm seine Instinkte, dass er auf Ersteres setzen sollte.
Eine Schande.
»Was kann ich für Sie tun, Miss Thomas?«, schleimte sich Burlesque ein.
»Ich bin zum Vorsingen als Jad-Sängerin gekommen.« Die Stimme der jungen Frau hallte wie ein Glöckchen durch den Raum.
»Jad-Sängerin?« Um ein Haar hätte Burlesque sich verschluckt.
Das Mädchen runzelte die perfekte Stirn. »Ja, Sie haben doch ein Schild an der Tür Ihrer Kneipe. Darauf steht, dass Sie ein Chirp … eine Jad-Sängerin suchen. Wenn ich richtig verstanden habe, findet heute ein Vorsingen statt.«
»Oh, Sie müssen entschuldign, aber Sie sehn gar nich so aus wie ’ne Jad-Sängerin. Die meisten sind was üppiger.«
Die junge Frau schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. »Tja, wahrscheinlich bin ich eine aus der neuen Generation von weniger üppigen Jad-Sängerinnen.« Sie hielt einen Moment inne. »Die Leute sagen, dass ich eine gute Stimme habe, Mr. Bandstand. Ich kann so gut wie alles singen. Warum versuchen Sie es nicht mit mir?«
Burlesque sah sich das Mädchen von der Seite an. Wahrscheinlich versucht er rauszukriegen, ob der Vorschlag, es mit ihr zu versuchen, nicht vielleicht zweideutig gemeint war, dachte Vanka. Dann flackerte Enttäuschung im Gesicht des Theaterdirektors auf. Offensichtlich nicht.
»Tanzen’se auch?«, fragte Burlesque misstrauisch.
»Klar kann ich tanzen.«
Klar?
Seit dem Augenblick, als sie den Mund aufgemacht hatte, wusste Vanka, dass es zu schön war, um wahr zu sein. Sie hatte zweifellos etwas von einem Yank, und jeder wusste, dass Yanks zu eigensinnig waren, als dass man sich auf sie verlassen konnte. Zudem waren die meisten der Mistkerle auch noch Royalisten.
Wenn er recht hatte, war das auf jeden Fall ein Problem. Burlesque mochte keine Yanks. Andererseits hatte Vanka noch nie von einer Shade gehört, die Yank war. Und Burlesque mochte niemanden , weder Anglos noch Slawen, nuJus, Shades, Polacken, Krauts, Russkis, Franzmänner, Itaker, Kanaken oder Japsen. Burlesque war ein fairer Rassist. Vermutlich fragte er sich gerade, ob die Kleine als Krypto für Shaka arbeitete … oder, noch schlimmer, eine Attentäterin der Suff-Ra-Getten war.
Burlesque fuhr mit seiner Befragung fort. »Erzählen’Se auch Witze?«
Kurze Denkpause. »Ja, warum nicht?«
»Na schön, dann lassen’Se mal sehn, wasse zu bieten ham«, sagte Burlesque und zeigte mit dem Kinn auf den Pelzmantel des Mädchens.
Ella zögerte, dann stand sie mit einem Schulterzucken auf und schälte sich aus ihrem Mantel. Unsicher trat sie von einem Bein aufs andere, während Burlesque ihren Körper der üblichen forensischen Examination unterzog.
Als Vanka sie ohne den Mantel sah, wusste er, dass er mit seiner Vermutung richtiggelegen hatte; sie war eine vom Pech verfolgte, vornehme junge Dame. Sehr schlicht gekleidet, so wie ein junges Ding aus gutem Haus. Das Kleid war der Inbegriff von Anstand, sowohl in puncto Farbe – dunkelgrau – als auch Länge – es reichte fast bis zum Boden. Blöderweise war das noch nicht anständig genug: ihre Brust war von einem Mieder verhüllt – für
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