Die Mission
lümmelte, gefiel ihr. Das erste Wort, woran sie dachte, um ihn zu beschreiben, war »zwielichtig« und gleich danach »Gauner«.
Sie schlenderte über den mit Sägespänen bestreuten Boden des Pubs bis an ihren Tisch.
»Verzeihung, Sir, gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie Mr. Burlesque Bandstand sind?«
15
Demi-Monde:
40. Tag im Winter des Jahres 1004
NuJuism ist die Religion, die von der sektorenlosen nuJu-Gemeinde in der Demi-Monde praktiziert wird. Der nuJuismus ist ein unerbittlich pessimistischer Glaube, der lehrt, dass Leid und Not lebensbejahend und notwendig sind, um die nuJus auf die Härten vorzubereiten, die sie während der Zeit der großen Trübsal werden ertragen müssen (auch bekannt als Ende aller Tage). Ein zentraler Grundsatz des nuJuismus geht davon aus, dass ein Messias kommen und das Volk der nuJus sicher durch die große Trübsal ins Gelobte Land führen wird. Wie alles, was mit den nuJus zu tun hat, ist natürlich auch das horrender Unsinn.
– Otto Weininger,
Religionen der Demi-Monde.
Veröffentlichungen der Universität zu Berlin
Vanka hob den Blick. Es war schwer, die Frau zu sehen, die mit Burlesque sprach, da sie das Licht im Rücken hatte und einen Schleier trug. Er konnte nur ihre Silhouette erkennen. Eine ungewöhnlich schöne Silhouette, das musste er zugeben. Ohne die üblichen Dellen und Beulen, die unerlässlich waren für Frauen, die das Pig frequentierten. Nach allem, was er sehen konnte, war die Frau – besser gesagt, das Mädchen – ein Traum von einer Assistentin. Zugegeben, sie war ein bisschen dürr, aber …
Er rückte seinen Stuhl ein Stück herum, um sie besser betrachten zu können, und hoffte, sie hätte keinen Bart. Als sie den Schleier, der ihr Gesicht verhüllte, etwas zur Seite zog, blieb ihm die Sprache weg. Sie hatte keinen Bart. Sie war verdammt hübsch. Jung, schlank und hübsch. Perfekt.
Nur dass sie schwarz war. Nun ja, nicht ganz schwarz. Sie hatte wunderschöne karamellfarbene Haut. Doch es war nicht daran zu rütteln, sie war eine Shade, und sie befanden sich in den Rookeries.
Wenn einer von Archie Clements SS -Schergen sie entdeckte, würde er sie zur Hölle schicken. Shades waren bei der SS alles andere als wohlgelitten und wurden ziemlich übel behandelt. Ihrer Meinung nach war das ForthRight eine shadefreie Zone, und so sollte es auch bleiben. Aber als PsyChick wäre die Kleine perfekt. Sogar ihre Hautfarbe wäre von Nutzen. Sie würde dem Ganzen einen Hauch von Exotik verleihen. Er könnte sie als WhoDoo Mambo ankündigen. Obendrein würde ihre Hautfarbe die blauen Flecken verbergen, falls sie der SS jemals in die Hände fiel.
Burlesque dagegen schien die Hautfarbe des Mädchens gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, und da erinnerte sich Vanka, dass der Kerl eigens nach einer Shade-Sängerin gesucht hatte. Die Freier standen auf Shade-Miezen. Sie waren aufregender als die fülligen Anglo-Mädchen, die sonst für Burlesque arbeiteten. Und diese Kleine war so sexy, dass sogar Burlesque sich bemüßigt fühlte, nett zu sein. »Einen wunderschönen guten Abend, Süße«, sülzte er, während sein Blick professionell über ihren Körper glitt. »Genau, ich bin Burlesque Bandstand, Lieferant alkoholischer Getränke und feiner Viktualien, sowie ’n ausgewiesener Theaterdirektor. Mit wem hab ich die Ehre, wenn ich fragen darf?« Mit dem Stiefel schob er einen Stuhl unter dem Tisch hervor und bedeutete Ella, Platz zu nehmen. Als sie sich setzte, konnte Vanka ihr Gesicht im Schein der flackernden Kerze auf dem Tisch besser erkennen.
Sie war nicht hübsch.
Sie war viel mehr. Sie war schön und sehr sehr sauber. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal jemanden gesehen hatte, der so sauber gewesen war und auch so … wunderbar duftete. Der Blumenstrauß aus Veilchen und Erdbeeren, der das Mädchen schmückte, erinnerte ihn an Tage im Park und an Spaziergänge im Wald; eigenartig, weil er, soweit er sich erinnern konnte, niemals in einem Park gewesen oder in einem Wald spazieren gegangen war. So rein war sie, dass er um ein Haar die Hand ausgestreckt und ihr schimmerndes Haar berührt hätte. Das Mädchen lächelte – es hatte die weißesten Zähne, die er je gesehen hatte – und streckte Burlesque eine schmale Hand entgegen. Jeder Finger war mit einem sorgfältig lackierten und gepflegten Nagel geschmückt.
Burlesque warf einen irritierten Blick auf die Hand, nahm zögernd die Fingerspitzen des Mädchens in seine Pfote und
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