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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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anderen Schwestern verabredeten sich zu Bällen, sie unternahmen Mondscheinfahrten und fragten auch Helene immer wieder, ob sie mitkommen wolle. Im Umkleideraum probierten sie kurze Hosen an, mit denen man sich am Wannseestrand zeigen wollte.
    Etwa so, die junge Schwester, die von allen kess genannt wurde, stellte ihre Hüfte aus und streckte dabei unverdrossen ihren Po aus. Die Geste gefiel Helene, sie musste an Leontine denken, etwas an der kessen Schwester erinnerte sie an Leontine. Burschikos, wie sie mit ihrem kurzen Haar und kurzen Hosen da stand und den anderen Schwestern ihren Po zeigte, dabei schaute sie streng und schelmisch in die Runde. Dann durfte eine andere das knappe Höschen anprobieren. Ob Helene nicht auch mal wolle, überhaupt müsse sie einmal mitkommen ins Strandbad. Helene lehnte ab, sie behauptete, sie habe bereits etwas vor. Sie erfand eine Tante, die sie pflegen müsse, sie wollte ihre Ruhe haben. Das Kichern und leichte Lachen der Schwestern war angenehm, solange es sie in Ruhe ließ, Hintergrund der Stille blieb, sobald es sie einbeziehen wollte, sich an sie wendete, Antwort und Teilhabe verlangte, strengte es an. Sie könne auch nicht schwimmen, gab die kesse Schwester preis, vielleicht vermutete sie, dass Helene nicht schwimmen konnte und sich aus Scham oder Unbehagen den Schwestern nicht anschließen wollte.
    Das macht nichts, die meisten Mädels lernen in diesem Sommer erst schwimmen, nicht wahr? Ja, riefen die Schwestern unbeschwert im Chor. Helene mochte die anderen Schwestern, ihr gefiel deren Fröhlichkeit. Helene wollte kein Mitleid, kein ratloses Schweigen, sie erzählte keiner der Schwestern von Carl und seinem Tod.
    Im Herbst sagte eine ältere Kollegin, Helene sehe ausgemergelt aus. Dürr. Man habe schon länger einen Blick auf sie. Ob sie krank sei. Aus dem Fragezeichen hörte Helene das Wort Schwindsucht. Sachte Hoffnung glomm auf. Helene verneinte, wurde aber zum Arzt bestellt, man wollte kein Risiko auf der Infektionsstation.
    Helene war nicht krank, nur ihr Puls ging etwas schnell, das Herz manchmal unregelmäßig. Der Arzt fragte sie, ob sie Schmerzen habe, ob ihr etwas an sich auffalle. Helene sagte, manchmal habe sie Angst, ganz plötzlich, aber sie wisse nicht, wovor. Ihr Herz schlug schnell, so schnell, dass es sich überschlug und keinen Platz in ihrer Brust zu haben schien. Der Arzt hörte ein zweites Mal ihre Brust ab, fast zärtlich setzte er das kalte Metall auf ihre Brust, die sich nirgends mehr sanft erhob, unter der man die Rippen spürte, er lauschte auf ihr Herz und schüttelte den Kopf. Ein kleines Geräusch, das haben manche. Nichts Schlimmes. Die Angst, nun ja, vielleicht gebe es doch Ursachen? Helene schüttelte den Kopf. Sie wollte nichts von Carl erzählen. Nichts davon, dass sie seither nicht mehr blutete. Vielleicht trank sie einfach zu wenig. Wen ging das etwas an? Sie hatte Leontine im Frühjahr in der Charité besucht und sie gebeten, sie zu untersuchen. Aber Leontine hatte ihr versichert, dass sie nicht schwanger sei. Nur kurz hatte Helene eine Enttäuschung gespürt. Wovon hätte sie ein Kind auch ernähren sollen? Es war bloß ihr Herz, das manchmal verrückt spielte. Der Brustkorb, der zu eng schien. Ihre größte Angst war die Angst vor der Angst.
    Wenns weiter nichts ist, sagte der Arzt mit einem Augenzwinkern. Helene ahnte, dass er an die Wiener Fallstudien von Hysterie dachte. Als Helene sich wieder angezogen hatte, fragte der Arzt sie mit einem feinen Lächeln, ob er sie einmal zum Kaffee einladen dürfe.
    Helene sagte nein, herzlichen Dank, nein. Nichts weiter. Sie ging zur Tür.
    Einfach so nein? Der Arzt zögerte, er wollte ihr nicht seine Hand geben, ehe sie ja gesagt hätte. Helene trat aus der Tür, sie wünschte ihm einen schönen Tag.
    Martha sollte bis zum Winterbeginn im Sanatorium bleiben und Leontine suchte eine Wohnung, damit sie bei Marthas Rückkehr nicht mehr in die Achenbachstraße ziehen mussten. So kam es, dass Helene ein unbeobachtetes Zusammentreffen mit Erich kaum verhindern konnte. Ihr fehlte die Kraft und der Wille zur ständigen Voraussicht, damit diese Begegnungen hätten vermieden werden können. Er presste seine Lippen auf ihre, er küsste sie, wo und wie es ihm gefiel. Sie wehrte sich, aber ohne Erfolg. Er zog sie in ein Zimmer, er steckte ihr seine Zunge in den Hals und neuerdings knetete eine seiner groben Hände dabei eine ihrer Brustspitzen. Es war ihm egal, wenn Cleo dabei zusah und ängstlich fiepte und

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