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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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spät.
    Schüsse ertönten, Schreie wurden laut und Rudi fing an zu plärren. Lotte hielt ihm den Mund zu und Muttel befahl hart: »Unter das Stroh. Los, so tief, wie ihr könnt. Und seht zu, dass Piefke die Klappe hält.«
    Es gab manches Kleinkind, das im Eifer des Gefechts von einer flachen Hand erstickt worden war, doch das war besser, als die Aufmerksamkeit dieser Tiere auf eine Familie zu richten, die sich versteckte.
    Stiefel polterten, eine Explosion folgte, deren heller Blitz Lotte fast blendete, Otto schob sich unter das Stroh, zerrte Piefke hinter sich her und Lotte hoffte, dass die mächtigen Querbalken und der herrschende Schatten sie gut genug verbargen, um von den Russen nicht gefunden zu werden. Sie huschte hinter ihren Brüdern in den Strohhaufen. Es kitzelte und sie spuckte aus. »Mama!«, rief sie, aber Muttel war noch dort, wo man sie sehen konnte.
    Liebe Güte, einen Strohballen konnte man anzünden. Und es war bekannt, dass die Russen so etwas nicht scheuten. Dann würde sie alle braten wie Fleisch im Topf mit Deckel. Lotte zitterte am ganzen Leib und drückte Piefke eng an sich, der ganz ruhig war.
    Und dann gab es da diese Stiefel.
    Stiefel, so groß wie Bratpfannen, verdreckt vom Lehm, schwarz und schwer. Und sie hörte eine raue Stimme. Sie verstand kein Wort, dann die gebrochen deutschen Worte. »Alleine? Tochter?«
    » Ich habe keine Tochter, verdammter Mistkerl. Du musst schon mit mir vorliebnehmen«, stieß Muttel hervor, und Lotte lauschte auf das Zittern in der Stimme ihrer Mutter.
    Der Russe lachte hart. »Gutt.«
    » Ja ne gavarju po-russki«, sagte Muttel, der einzige Satz, den sie kannte und der bedeutete, sie spreche kein Russisch.
    » Was. Kak tebja savut?«
    » Ich verstehe dich nicht ...«
    » Dein Name?«
    Muttel antwortete nicht.
    »Da. Auch gutt.«
    Was nun geschah, hatte Lotte oft gesehen und stets weggeschaut. Piefke und Otto bibberten und sie verdeckte ihnen die Sicht, wofür sie dankbar war. So etwas sollte niemand erleben müssen, schon gar nicht bei der eigenen Mutter. Sie wartete auf die Schreie, auf das Heulen, auf das Schluchzen und auf die Drohungen. So war es stets. Drohungen, die irgendwann in völligem Schweigen versiegten.
    Schüsse fielen.
    Frauen kreischten.
    Männer heulten und fluchten.
    Schmerzensschreie, als würden Seelen zerreißen.
    In Lottes Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie hatte davon gehört, wie gefährlich Scheunen sein konnten. Immer noch kreiste der Gedanke in ihr und das Stroh kitzelte in ihrer Nase. Viele Soldaten der Roten Armee machten sich einen Spaß daraus, Flüchtlinge dort einzusperren und Stroh und Heu anzuzünden, damit die Eingeschlossenen erbärmlich verbrannten. Wartete dieses Schicksal auf sie?
    Sie schob sich etwas vor und sah dennoch nicht viel.
    Sie sah genug. Sah, dass der Russe auf ihrer Mutter lag, zwischen den gespreizten Schenkeln der Frau, die sich weder aufbäumte, noch versuchte, sich zur Seite zu rollen, noch andere Gegenwehr ausübte. Und dann schossen Lotte Tränen in die Augen, denn Muttel hatte ihre Arme um den Hals des Soldaten gelegt, der sich über ihr bewegte und ihre flachen Hände lagen fast zärtlich auf dessen Schultern.
    » Mama ...«, flüsterte Lotte und die Tränen hörten nicht auf.
    Das Schlimmste kam erst noch.
    Zuerst war es nur ein kleiner heller Laut, dann ein Seufzer, der zwar leise war, aber so befremdlich, dass er den Lärm in der Scheune zu übertönen schien. Muttel hielt die Augen geschlossen, so viel sah Lotte, und ihr Gesicht wirkte weich und sehnsüchtig. Sie sah anders aus als sonst, wie eine junge Prinzessin, als verwische der Akt alle Fältchen und schrecklichen Erlebnisse. Dann öffneten sich ihre Lippen und sie stöhnte im Rhythmus seiner Stöße, sie fing an, sich zu bewegen, ihr Kopf schlug von links nach rechts, und als er das Tempo steigerte, bäumte sie sich dem Soldaten entgegen und gemeinsam schrien sie ihren Höhepunkt hinaus. Er rollte ab und lag schwer atmend neben ihr.
    Lotte wusste nicht viel über das da, aber sie hatte genug gesehen, um zu erkennen, dass ihre Mutter an dieser Vergewaltigung
    ( Vergnügen?)
    gehabt hatte. Sie und der Soldat hatten sich zwar nicht geküsst, aber ansonsten wie ein liebendes Paar gewirkt, das sich gegenseitig Freude schenkt.
    Der Soldat richtete sich auf, erhob sich und glättete seine Uniform. Er lächelte. »Gutt.«
    Muttel starrte zu ihm hoch. Wartete sie darauf, dass er die Waffe zog, um sie zu erschießen? Der Soldat hockte

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