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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Thomas grinst.
    » Mann, Sie haben einen Vogel«, murmelt er.
    Lars grunzt erschüttert.
    »Wiederholen Sie das«, flüstert Ditschig.
    » He, Ditschig«, murrt Lars. »Lass den Wille in Ruhe.«
    Verdammt , sie sind ungefähr gleichalt, haben vermutlich ähnliche Interessen und draußen scheint die Nachmittagssonne. Es wäre viel schöner, sich in auf die Wiese zu legen, eine Selbstgedrehte zwischen den Lippen und eine Bierflasche auf dem Bauch. Sie sitzen doch alle im gleichen Boot, oder nicht? Es ist Dienstschluss und man muss aus einer Mücke keinen Elefanten machen.
    Der Stabsunteroffizier reagiert nicht auf den Einwurf des nordischen Hünen, dessen flaches Gesicht närrisch aussieht , wie das eines Riesenaffen, in dessen Seele jedoch ein großes Feuer brennt, an dem sich zu wenige wärmen.
    » Sofort zum Hauptmann«, zischt Ditschig. Nun färbt der Schweiß seinen Hemdkragen dunkel und die Lippen beben, schnappen regelrecht nach Luft.
    » Hat dir dein Vater gesagt, kleine Männer sollten sich vor hochgewachsenen Männern in acht nehmen?«, fragt Thomas kühl. »Mach dir keine Sorgen, wie man hier jeden Tag unter der Dusche sieht, habe die Kleinen die Längsten.«
    » Nur weil Sie wie ein Professor quatschen, sind Sie keiner. Noch ein Wort, Gefreiter Wille, und ich lasse Sie einbuchten.« Ditschig reißt die Tür auf. »Marsch, marsch! Zur Schreibstube und dort warten. Das Ganze im Laufschritt!«
    Neben der Schreibstube befindet sich das Büro des Hauptmanns, des Kompaniechefs. Während Thomas schnellen Schrittes die Treppe runterläuft und krampfhaft bemüht ist, seine viel zu lange Haare hinter die Ohren zu stopfen, denn er hat sie sich vor einer halben Stunde gewaschen, und sie federn verdächtig, wird ihm langsam aber sicher mulmig zumute. Er hat es übertrieben. Und das wird Konsequenzen haben, soviel ist sicher. Den Kameraden, denen er begegnet, zeigt er sein Grinsen, in ihm allerdings rührt ein großer Löffel. Doch sobald er die Tür der Schreibstube sieht, kühlt er ab und seine Sorgen verflüchtigen sich. Was kann er dafür, dass er diesen Haufen nicht ernst nimmt? Kleine Männer, die Macht über Dienstgrade erringen und Schinder, deren Väter vermutlich noch bei der SS dienten und ihre Söhne entsprechend instruiert haben, aufstrebende junge Offiziere, die ziemlich lässig sind, wohingegen die niedere Bildungsschicht ihren mangelnden Intellekt durch Geschrei und Geblöke kompensiert.
    Ditschig stapft an Thomas vorbei und hinter ihm schlägt die Tür zu. Dann ist er beim Hauptmann, wie man durch die Tür hört. Kameraden bauen sich in einiger Entfernung auf. Der Unteroffizier von Dienst schüttelt den Kopf und zeigt Thomas einen Vogel. Lars kommt angeschlurft, die grüne Hose locker auf den Hüften, den mächtigen Bauch in ein schmuddeliges Shirt gehüllt. Niemand hier ist eitel, jeder rennt in der Freizeit rum, wie es ihm passt, solange man ihn lässt. Männer unter sich.
    Thomas legt den Zeigefinger auf die Lippen.
    Es riecht nach Bohnerwachs, Öl, Schweiß und Leder, während die dumpfe Hitze wie ein lebendiges Wesen durch die Gänge streift.
    Dann geht das Theater los.
    Und es spielt sich im Hauptmannsbüro ab.
    Thomas und die anderen hören Worte wie: Autorität ! Und noch lauter: Gejammer! Lächerlich! Zeit stehlen!
    Bevor sie registrieren, was eigentlich los ist, kommt Ditschig raus, versucht sich zu fassen, rückt die Brille zurecht und stolpert auf ihn zu, ein kalter Blick, der ihn wie Streufeuer streift, der Blick eines Feindes, dann ist er vorbei, auch an den anderen Kameraden, direkt raus in die Hitze. Hat Thomas Tränen in den Augen des Mannes gesehen?
    Er beschließt, das zu verdrängen. Es ist so schön warm und Lars hat Whisky gekauft.

7
     
    Man sagt, die Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden könne. Für Lotte sind Erinnerungen die Hölle, in der sie festsitzt, ohne Hoffnung auf einen Ausweg. Sie weiß, dass Erinnerungen nur dann gut sind, wenn das Vergessen sie erträglich macht. Doch auch das gelingt ihr nicht.
    Je älter sie wird, desto länger ve rweilt sie in der Vergangenheit, und immer schlimmer quälen sie Bilder, von denen sie dachte, sie habe sie abgeschnitten und entsorgt.
    Nachdem Muttel im Garten der Willes vom Stuhl rutschte und starb, wird Lotte von einer Erinnerung fast erschlagen.
    Es war die Zeit der Flucht aus Schlesien. Die Zeit, als alles anders wurde.
    Das Schlimmste war die Angst, die Mutter zu verlieren. Deshalb waren die

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