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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Haare hat er verloren, sondern auch seinen Optimismus, und Marita war nicht unschuldig daran. Sie konnte seiner Lust auf Arbeit nichts abgewinnen und hätte es lieber gehabt, sie wären mit dem Geld, welches das Foto einbrachte, in den Süden gezogen, in ein Haus am Strand vielleicht. Doch so stellte Mike sich sein Leben nicht vor.
    » Herr Stern ...«
    » Mike ...«, winkt er ab. »Nenn mich Mike.«
    » Mein Onkel hat Arbeit für mich. Aber er hat erst morgen Zeit. Also bin ich ein bisschen auf die Rolle gegangen.«
    Thomas bekommt sein Bier. Sie prosten sich zu und trinken.
    »Erzähl mir, wie es dir ergangen ist«, sagt Mike. Er stützt sich mit dem Ellenbogen auf den Tresen und freut sich ehrlich, Thomas Wille begegnet zu sein, an einem Ort, an dem er ihn nie vermutet hätte. Doch so ist die Welt nach dem Krieg und nach dem Wirtschaftswunder geworden.
    Züge fahren, wohin man will.
    Flugzeuge starten im Sekundentakt.
    Alles ist zusammengerückt, lediglich Berlin ist nach wie vor eine Insel und wird es immer bleiben.
    Es herrscht das Saturday Night Fever , man trägt Hosen, deren Schlag so breit ist, dass die Schuhe verdeckt werden, die Hemden sind bunt und die Kragen gigantische Schmetterlingsflügel, denn jeder will aussehen wie John Travolta. Die Röcke der Mädchen und Frauen streifen den Boden und sexuelle Freiheit herrscht überall. Soeben hat man den Apple II vorgestellt, einen handlichen Computer, der die Büroarbeit erleichtern und den Commodore ablösen soll, Zigarettenautomaten nehmen neuerdings Geldscheine, kürzlich präsentierte die Sparkasse ein Ding, das sich Geldautomat nennt, man redet von 850.000 Arbeitslosen und der Liter Super kostet unglaubliche 94 Pfennige. Wo soll das noch enden, in einer Welt, in der man sein Geld aus einer Maschine holt? Alles wird teurer, alles schneller, alles lauter. Und man rückt zusammen. Begegnet sich heute hier und morgen dort, da der Blaue Planet nur noch ein Dorf ist.
    Gestern – heute.
    Vergangenheit und Zukunft.
    Und Gegenwart im »Wohnzimmer« in Kreuzberg.
    » Wie es mir ergangen ist?«, fragt Thomas. Er leert sein Glas, ordert noch eins, leert es genauso schnell und dann das nächste, was Mike mit gerunzelten Brauen registriert.
    » Was wollen Sie ... was willst du hören, Mike?«
    » Hast du inzwischen irgendwo wieder etwas veröffentlicht?«
    Thomas rollt geschickt eine Zigarette mit Bison Tabak und lacht hart. »Nee, nur Absagen. Ich habe einen Roman geschrieben, aber niemand will ihn veröffentlichen.« Er wippt zum Takt der Eagles. »Na ja ... war sowieso eine komische Zeit und vielleicht findest sich das im Roman. Die Familie zog damals um. Vater und Mutter kauften ein umgebautes Zechenhaus und das hatte Vorrang. Es gab haufenweise Arbeit, Garten, eine Garage bauen, man musste ziemlich viel selbst machen. Dazu kamen noch ein paar Familiensachen, die unschön waren. Und schließlich musste ich zur Bundeswehr.«
    » Und beruflich? Bist du geworden, was du wolltest?«
    » Was wollte ich damals?«
    » Schriftsetzer wolltest du werden.«
    » Ja. Man bot mir sogar die Leitung der Abteilung an. Dann zog man mich, und aus war es mit den großen Erwartungen. Man hatte mir zwar die Stelle freigehalten, aber mir drei Monate nach meiner Rückkehr gekündigt, da ich zwischenzeitig ersetzt worden war. Achtzehn Monate Wartezeit waren eine zu lange Zeit für meinen Chef. So ist das, wenn du zum Bund musst. So umgeht man die Rechtslage.«
    » Was willst du tun?«
    Thomas zuckt die Achseln und leert Bier Nummer vier. »Mein Onkel ist ein hohes Tier bei einer Versicherung. Vielleicht gibt es da was für mich zu tun. Die Verkäufer verdienen sich schließlich eine goldene Nase.«
    Die Musikbox spielt Ti Amo!
    Liebe Güte, das musste ja kommen. Mike hasst dieses Lied. Es wirkt wie aus einer nichtverarbeiteten Vergangenheit und ist vermutlich eben deshalb so erfolgreich. Am Lago Maggiore sein und die Sonne geht unter. Lasst uns nach Italien fahren, alle zusammengepfercht im Käfer, auf dessen Dach die Koffer wackeln. Und er läuft und läuft und läuft.
    Sie sind beide ziemlich angetrunken, als drei Männer mit Bärten und in Lederkluft das »Wohnzimmer« betreten. Betreten ist das falsche Wort, sie annektieren es mit breiten Schultern und aggressiver Ausstrahlung. Auf ihren Kutten steht »MOTORRADCLUB CHARLOTTENBURG LONE RIDERS«. Alles in Versalien, denn so muss das sein, so legten es die Hell’s Angels, die Vorbilder, schon vor dreißig Jahren fest. Immer in

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