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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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in deiner maßlosen Arroganz!
    Sie begreift in diesem Moment, dass sie ihre Mutter hasst, immer gehasst hat. Dafür, zur Hausfrau dressiert worden zu sein, für die fehlende Zärtlichkeit und die Abscheu, als sie sich die Arme aufschnitt, als sie ihrer ersten Liebe nicht folgen durfte, damals ... als sie dachte, sie sei nicht Ottilie.
    Und sie erkennt, dass sie ihre Mutter deshalb braucht und lieben will, weil der Hass so groß ist, dass er sie sonst zerfrisst.

3
     
    Mike Stern betrachtet sich im Spiegel der Bahnhofstoilette und stellt fest, dass er verkommen aussieht. Die Haare sind fettig und zu lang, der Bart zerzaust, unter den Augen hat er Ringe und seine Kleidung könnte auch sauberer sein.
    Seine Abfindung ist schon längst aufgebraucht und alle Verlage, denen er sein Romanmanuskript angeboten hat, haben abgelehnt. Er versenkte mit einem weinseligen Ritual im Wannsee. Seither hat er nichts mehr geschrieben, sondern lebt von der Stütze.
    Das geht ganz gut, denn man kommt ihm entgegen. Hier einen Beleg für eine neue Waschmaschine einreichen, dort einen für ein neues Bett und sogar eine neue Hose wird ihm anstandslos bezahlt. Er erhält genug Geld, um zu leben und die Wohnung wird außerdem bezahlt. Zwar gab es einiges Murren, sie sei zu groß, letztendlich jedoch beugte man sich den Gegebenheiten.
    Mike hat sich schlaugemacht und weiß jetzt genau, wie man das Sozialamt an der Nase herumführt. Deutschland ist ein Sozialstaat und noch nie war ihm das so bewusst. Egal, was er fordert, es wird bezahlt. Obwohl er sich keine neue Waschmaschine kauft und kein neues Bett. Angedrohte Untersuchungen vor Ort werden so gut wie nie durchgeführt, also kann er den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Es reicht zum Leben.
    Er steigt in die Straßenbahn und fährt zu seinem Therapeuten, den die Krankenkasse zahlt, solange er ihn benötigt.
    Er sitzt ihm gegenüber im Sessel, Dieter Drechsel, Diplompsychologe. Ein kleiner schmaler Mann, der schüchtern wirkt, es aber nicht ist. Er ist einer von denen, die gut zuhören können, und zu ihm hat Mike Vertrauen. Besonders, nachdem er herausfand, dass Drechsel über alles, was er hört, Stillschweigen bewahren muss.
    » Wenn Sie die letzten drei Jahre überdenken, Herr Stern, was sehen Sie?«, fragt Drechsel mit sanfter Stimme. Er schreibt nie mit, merkt sich aber jede Kleinigkeit und hat sie auch eine Woche später nicht vergessen und parat. Hinter ihm steht ein Gummibaum, der Schreibtisch weiter weg ist aufgeräumt, der Teppichboden tadellos sauber und es duftet nach teurem Herrenparfüm. Auf dem Tischchen zwischen Sessel und Sessel liegen Papiertaschentücher.
    » Ich habe mein Leben kaputtgemacht«, antwortet Mike.
    » Sie haben damals einen Fehler begangen. Sie ließen sich von Ihren Gefühlen treiben. Niemand konnte ahnen, was daraus wird. Trotzdem geben Sie sich die Schuld.«
    » Zu viel Alkohol«, sagt Mike. »Ich fing an zu saufen, mein Job wurde mir zu viel und bald gab man mir den Laufpass. Das Ganze wurde diskret gehandhabt, ich erhielt eine Abfindung, doch niemand will mich einstellen. Ich habe besoffen zu viele Fehler begangen, bin auf wichtigen Partys umgekippt und habe Frauen in den Ausschnitt gekotzt.«
    » Und nun ist es an der Zeit, wieder aufzustehen?«
    Mike überlegt. »Ja, eigentlich schon.«
    » Eigentlich«, stellt der Psychologe fest, ohne zu werten.
    » Mich lassen die Bilder nicht los. Die beiden Toten, zwei ganz normale Menschen. Ich träume davon und wache nachts schreiend auf.«
    » Sie wachen schreiend auf.«
    » Ja«, bestätigt Mike. »Ich versuchte, meine Freundin zurückzugewinnen, doch sie lachte mich aus. Ich versuchte einiges.«
    » Sie versuchten einiges.«
    Mike zieht ein Gesicht und zuckt mit den Achseln. »Na gut, vielleicht nicht genug. Aber jetzt geht es mir gut.«
    » Ist das so?« Drechsel betrachtet seinen Klienten von oben nach unten.
    » Wissen Sie ... ich habe oft überlegt, ob ich mich stellen soll. Aber ich weiß zu viel über die Machenschaften der Kripo und wie man mich als Auftragsgeber eines Mordes hinstellen wird. Verpfeife ich die Täter, kann ich mich gleich selbst aufhängen. Es ist eine verdammt beschissene Situation.«
    » Was würde ein Geständnis, Ihrer Meinung nach, ändern?«
    Mike reibt sich die Augen. »Innere Ruhe. Das wäre schön.«
    » Ruhe, die Sie sich durch Alkohol verschaffen.«
    Mike nickt betrübt.
    »Sie waren ein angesehener Mann. Sie könnten von den Einnahmen, die Sie mit dem Foto

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