Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)

sie bei Hofe arbeitete, kaum verantwortungsvolle Aufgaben übertrug, konnte sie sich momentan nicht über mangelnde Freizeit beklagen. Dennoch genoss sie das Gefühl unbändiger Freiheit, das in ihr aufstieg, als sie nun gemeinsam mit Henrik die wilde Schärenlandschaft der Ostsee vor den Toren Stockholms erkundete.
    Hier draußen gab es nichts als Henrik und sie, den Wind, die Wellen und die Inseln. Einige von ihnen waren kaum mehr als kleine Felserhebungen, andere wiederum so groß, dass sie ganze Ortschaften beherbergten.
    Noelle atmete tief durch, und alle Anspannung fiel von ihr ab. Sie schmeckte das Salz des Meers auf ihren Lippen, der Wind streichelte ihr durchs Haar. Es war ein wunderbarer Tag, wie geschaffen für einen Ausflug. Die Sonne stand strahlend am schon fast unwirklich blauen Himmel, und das Wasser glitzerte wie ein Meer aus Diamanten. Es schien ewig her, dass sie so entspannt und gelöst gewesen war.
    Wenn sie ganz ehrlich war, lag ihr letzter wirklich guter Tag schon sehr weit zurück. Um genau zu sein, bevor Felix sich völlig überraschend von ihr getrennt hatte. Nein, nicht einfach nur getrennt. Er hatte sie regelrecht fallen lassen, nachdem er dank ihrer Hilfe im Ansehen seines direkten Vorgesetzten so weit aufgestiegen war, dass er ihm eine verantwortungsvolle Stelle in Göteborg überlassen hatte. Doch seine Dankbarkeit hielt sich in Grenzen, wie Noelle kurz darauf feststellen musste, als er …
    Wie um die Erinnerungen abzustreifen, schüttelte sie den Kopf. Einen so schönen Tag sollte man nicht verderben, indem man über die Vergangenheit nachgrübelte, sagte sie sich selbst. Trotzdem durfte sie die Realität nicht aus den Augen verlieren. Es war sicher nicht falsch, die Zeit mit Henrik zu genießen, solange sie sich dabei nicht der Illusion hingab, dass mehr daraus entstehen könnte.
    “Schau mal, dort hinten”, rief Henrik und riss sie damit aus ihren Gedanken. Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf eine flache, mit Birken bewachsene Schäreninsel. Farbenfrohe Blumen säumten das Ufer, das ganz eben war, bis es sanft zum Wasser hin abfiel. Ein Steg reichte bis weit ins Wasser hinein. “Dieser Platz ist wie geschaffen für ein Picknick, findest du nicht?”
    Nach dem Anlegen half Henrik ihr von Bord und trug den schweren Picknickkorb an Land. Am Ufer breiteten sie gemeinsam eine große rot-weiß karierte Wolldecke auf dem Boden aus.
    “Mir ist, als würde ich träumen.” Seufzend legte Noelle sich auf den Rücken und schloss die Augen – jedoch nicht ganz, um Henrik unbemerkt betrachten zu können.
    Wie unglaublich attraktiv er doch war! Das dichte dunkle Haar, in dem sie einfach die Hände vergraben wollte, das kantige Gesicht, der leichte Bartschatten auf den Wangen und am Kinn, die ausdrucksvollen, von dunklen Wimpern umrahmten blauen Augen …
    Das Herz ging ihr auf vor lauter Zuneigung zu ihm. Die Intensität ihrer eigenen Gefühle irritierte und beunruhigte sie. Sie hatte so etwas noch nie zuvor erlebt. Henrik schaffte, was keinem anderen Mann vor ihm gelungen war: Er ließ Noelle die Welt um sich herum vergessen. Wenn sie bei ihm war, rückten all ihre Sorgen und Probleme, so groß sie im Moment auch sein mochten, plötzlich in den Hintergrund, und sie lebte nur noch für das Hier und Jetzt.
    Dieser Zustand absoluter Zufriedenheit war verlockend und gefährlich zugleich. Die Realität für eine Weile zu vergessen, schaffte Noelles Schwierigkeiten nicht aus der Welt. Niemand durfte erfahren, dass sie sich mit Henrik traf, weil es das Ende ihres großen Traums von einer Karriere in Frankreich bedeuten würde.
    “Was ist mit dir?”, fragte Henrik. “Du siehst plötzlich so nachdenklich aus.”
    Erst jetzt bemerkte sie, dass er sie anschaute, und schüttelte den Kopf. “Nichts weiter”, erwiderte sie lächelnd. “Was meinst du, können wir nicht endlich etwas essen?”
    “Gute Idee, ich sterbe vor Hunger! Und außerdem kann ich es kaum erwarten zu erfahren, was für Köstlichkeiten du in deinem Korb versteckt hältst.”
    “Na, dann will ich dich nicht länger auf die Folter spannen!”
    Neben Tellern, Gläsern und Besteck zauberte Noelle nach und nach alle möglichen Köstlichkeiten hervor. Es gab
Gravad lax
und
Musselsallad –
marinierten Lachs und Muschelsalat –, dazu
Kanelbullar
– köstlich duftende Zimtschnecken – und eine Schale mit frischen Erdbeeren und Sahne.
    Auch beim Essen konnte Noelle den Blick einfach nicht von Henrik abwenden. Nach ein paar