Die Mitternachtsrose
Donald mir nicht so sehr gefehlt hätte, denn an Bord gab es zahllose Zerstreuungsmöglichkeiten und junge Männer, sowohl Engländer als auch Inder, die beim Abendessen neben mir sitzen wollten und mich hinterher zum Tanzen aufforderten.
Im Verlauf der Fahrt wurde mir klar, dass das unbeholfene Mädchen, das einige Jahre zuvor nach England gekommen war, seine alte Haut abgestreift hatte und zu einer eleganten und recht attraktiven jungen Frau geworden war. Das gab mir das Gefühl, Donald ein wenig würdiger zu sein. Er schickte mir Telegramme an Bord, in denen er mir liebevoll-witzig schilderte, wie es ihm gelungen war, ein Gemälde zu verkaufen oder billig neue Schafe und eine zweite Dreschmaschine zu erwerben. Außerdem schrieb er mir, dass seine Mutter nach wie vor im Bett liege und behaupte, krank zu sein. Sein letztes Telegramm freute mich besonders:
Mutter will nicht zu Selinas Hochzeit STOP Nächste Woche i n London STOP Ich mache den Brautführer STOP Wir die nächsten, Schatz STOP Donald XX
Während das Schiff durch ruhige See in meine Heimat stampfte, begann ich, mich gedanklich mit Indira zu beschäftigen. Da ich wusste, wie stur sie war, bezweifelte ich, sie umstimmen zu können. Letztlich hoffte ich sogar, dass meine Versuche, sie zur Vernunft zu bringen, nichts fruchteten und ich, nachdem ich meine Pflicht getan hätte, so schnell wie möglich nach England zu Donald zurückkehren könnte.
Wenn ich im Bett sanft von der See hin und her gewiegt wurde, wollte ich das Singen nicht hören, das mir sagte, dass es nicht so kommen würde. Ich war jetzt selbst Herrin über mein Schicksal, flüsterte ich den Stimmen zu. Und ich würde dafür sorgen, dass es klappte, egal wie.
An dem Morgen, an dem das Schiff in Kalkutta anlegte, packte ich meine dicken Wollpullover ganz unten in den Koffer und zog ein altes Sommerkleid an, das schon bessere Tage gesehen hatte. Dann ging ich hinauf an Deck und atmete die schwülheiße Luft ein. Unten wartete eine bunte, lärmende Menge am Pier.
Ich war zu Hause.
Die Maharani hatte Suresh, einen ihrer Vertrauten, geschickt, um mich abzuholen und im Zug von Kalkutta nach Koch Bihar zu begleiten. Als er in schnellem Hindi auf mich einredete, fiel es mir schwer, ihn zu verstehen, weil ich mich so lange nicht mehr in meiner Muttersprache unterhalten hatte. Während der Zugfahrt nach Koch Bihar wurde mir klar, dass ich Zeit brauchen würde, mich wieder in die Kultur einzufügen, die ich fast vergessen hatte. Ich litt unter der überwältigenden Hitze, und mir klangen die Ohren von dem unablässigen Lärm Indiens und seiner Bewohner. Es herrschte eine hektische Atmosphäre, mit der ich nur schlecht zurechtkam, weil ich inzwischen an das gemäßigtere Tempo Englands und seiner Bewohner gewöhnt war.
Außerdem wurde mir bewusst, dass ich die atemberaubende Schönheit des Palastes von Koch Bihar vergessen hatte. Als der Chauffeur mich durch den Park fuhr, saugte ich den Anblick begierig in mich auf, denn ich hatte lange nichts so Spektakuläres mehr gesehen.
» Die Maharani möchte bei Sonnenuntergang mit Ihnen sprechen « , teilte Suresh mir mit. » Sie wird in Ihr Zimmer kommen. Bis dahin haben Sie Zeit zum Ausruhen. «
Ich erhielt eine geräumige Suite im opulent ausgestatteten Gästebereich, und als das Dienstmädchen sich mit einer Verneigung verabschiedete, kam mir der Gedanke, dass Indira möglicherweise nichts von meiner Anwesenheit ahnte. Ich legte mich aufs Bett und fragte mich, wie ich, eine Frau, die selbst in eine geheime Affäre verwickelt war, versuchen sollte, eine Geschlechtsgenossin zu überreden, dass sie sich gegen die Stimme ihres Herzens entschied.
Um sechs Uhr, als der Geruch von Weihrauch, der in Silberkesseln im Palast geschwenkt wurde, und von Öllampen, die man entzündete, mir in die Nase stieg, betrat die Maharani mein Zimmer.
» Anahita. « Ayesha, noch immer so schön, wie ich sie in Erinnerung hatte, schloss mich in die Arme. » Willkommen daheim « , begrüßte sie mich und trat einen Schritt zurück, um mich zu betrachten. » Du bist zu einer attraktiven jungen Frau herangewachsen, die seit unserer letzten Begegnung Lebenserfahrung gewonnen hat. Aus Selinas Briefen an Minty weiß ich um deinen Einsatz in Frankreich. «
» Danke, Hoheit, aber ich war nur eine von vielen, die ihren Beitrag geleistet haben. Ich muss mich entschuldigen, dass ich keine angemessene Kleidung für den Aufenthalt im Palast habe. Ich besitze nur noch westliche Sachen «
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