Die Mitternachtsrose
streiten.
9. Juni
War noch einmal in London, um mit dem Mann von der Bank zu reden. Weitere schlechte Nachrichten – die Zeit zerrinnt mir zwischen den Fingern, bald werde ich den Verkauf von Astbury angehen müssen. Außerdem habe ich Annis Oberschwester im Royal Hospital in Whitechapel aufgesucht, die ebenfalls kein Wort von ihr gehört hat. Habe mich kurz mit Selina getroffen, die sagt, dass sie in Südfrankreich Indira und ihrem frischgebackenen Ehemann begegnet ist. Anni hatte Indira vor ihrer Abreise aus Paris im April erklärt, sie wolle direkt nach England zurückkehren. Ich bin außer mir vor Sorge. Was bleibt mir ohne sie?
14. Juli
Ralph Drumner und seine Frau Sissy sind vor einer Woche hier eingetroffen. Sie wirken nett und freuen sich trotz des heruntergekommenen Zustands von Astbury darüber, in einem echten englischen Herrenhaus inklusive eines englischen Lords zu wohnen. Sissy hat zur Begrüßung doch glatt einen Knicks vor mir gemacht! Ich halte Ralph Drumner für weitaus cleverer, als er sich gibt. Er scheint sagenhaft reich zu sein; Sissy trägt die neueste Pariser Mode und ist von oben bis unten mit Diamanten behängt. Sie wollen zwei Monate bleiben und in der Zeit » England machen « , wie sie sich ausdrücken. Morgen gesellt sich ihre Tochter Violet zu uns. Noch immer keine Nachricht von A. Mein Herz erstarrt allmählich zu Eis, weil mir nur ein Grund einfällt, warum sie sich nicht bei mir meldet.
» Die Drumners kommen um halb vier, rechtzeitig zum Nachmittagstee. Ich würde vorschlagen, dass wir ihn auf der Terrasse nehmen. Du weißt, dass sie nach London gefahren sind, um ihre Tochter abzuholen? Sie ist gestern Abend von Paris eingetroffen. «
» Ja, Mutter « , antwortete Donald geistesabwesend beim Frühstück.
» Sie ist etwa so alt wie du, du könntest ihr Gesellschaft leisten. «
Donald legte die Times zusammen und erhob sich vom Tisch. » Keine Sorge, ich tue meine Pflicht. «
Am Nachmittag machte Donald einen Ausritt über das Anwesen. Immerhin wirkten die Pächter, die noch nichts von ihrem Schicksal ahnten, zuversichtlich, weil sie eine Rekordweizenernte erwarteten und glaubten, ihm mit dieser Nachricht eine Freude zu machen.
Mittlerweile hatte sich ein Interessent für Astbury gefunden. Mr Kinghorn, ein Geschäftsmann aus Cornwall, der während des Kriegs durch Zinnhandel reich geworden war und einen guten Eindruck machte, wollte sich durch den Erwerb des Anwesens einen Platz in der guten Gesellschaft sichern. Er würde es spottbillig bekommen, weil sich in den finanziell düsteren Nachkriegsjahren niemand sonst dafür interessierte. Donald musste nur noch einschlagen. Immerhin, tröstete er sich, als er seine Stute dem Stallburschen übergab und zum Haus ging, konnte er sicher sein, dass Astbury unter dem wachsamen Blick des neuen Eigentümers höchstwahrscheinlich weitaus effizienter und professioneller geführt werden würde als bisher.
Die Drumners und Donalds Mutter saßen bereits auf der Terrasse beim Tee, was bedeutete, dass er die Reitkleidung nicht mehr würde wechseln können. Sein Blick fiel auf die junge Frau am Tisch. Es bestand kein Zweifel: Violet Drumner war eine Schönheit. Sie war schlank und trug ein hübsches Nachmittagskleid, und ihre blonden Haare waren zu einem modischen Bubikopf geschnitten. Als er näher kam, bemerkte er, dass sie lebhafte braune Augen und schön geformte sinnliche Lippen sowie makellose helle Haut hatte.
Er begrüßte die Gruppe. » Mutter, Ralph, Sissy, ich muss mich entschuldigen, dass ich so spät dran bin, und Miss Drumner … « , Donald wandte sich der jungen Frau zu, » … darf ich Violet zu Ihnen sagen? «
» Ja, gern. « Sie lächelte, und dabei kamen ebenmäßige Zähne zum Vorschein.
» Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen « , erklärte er und setzte sich, während das Dienstmädchen ihm Tee einschenkte. » Hatten Sie eine angenehme Reise? «
» Sogar sehr angenehm « , antwortete Violet. » Endlich sehe ich das Londoner Umland. Alle Tanzveranstaltungen, die ich bisher besucht habe, fanden in der Stadt statt. «
» Violet ist letztes Jahr in New York in die Gesellschaft eingeführt worden « , erklärte Sissy.
» Aha « , sagte Maud und hob kaum wahrnehmbar eine Augenbraue.
» Hat Ihnen die hiesige Saison auch gefallen? «
» Aber ja! Ich habe so viele interessante Leute kennengelernt. Ich liebe England! « , rief Violet in ihrem fröhlichen New Yorker Tonfall aus.
» Nach allem, was man
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