Die Mitternachtsrose
immer mit einem tiefen pranaam nähern, bis mir erlaubt wurde, mich aufzurichten.
» Wo treibst du dich denn die ganze Zeit herum, du unartiges Mädchen? « , fragte die Maharani lächelnd und schloss Indira in die Arme.
Ich betrachtete diese Frau, über die im Lager so viel geredet wurde, genauer. Indiras Mutter trug weder Schmuck noch Make-up. Ihr schlanker Körper war mit einem schlichten Seidengewand bekleidet, und ihre langen dunklen Lockenhaare umspielten ihre Schultern. Ihre großen bernsteinfarbenen Augen erinnerten mich sehr an die ihrer Tochter. Ich musste Jameeras Vater recht geben: Auch ich hatte nie eine schönere Frau gesehen.
» Ich hab Anni meinen kleinen Elefanten gezeigt, Ma. «
Die Maharani küsste ihre Tochter auf die Stirn. » Dann stell mir mal deine neue Freundin vor. «
» Ja, natürlich. Anni, das ist meine Mutter Ayesha. Ma, das ist Anahita Chavan. «
» Hallo, Anahita. « Die Maharani schenkte mir zur Begrüßung ein freundliches Lächeln. Dabei kamen zwischen ihren sinnlich roten Lippen kräftige weiße Zähne zum Vorschein. Mir verschlug es bei ihrem Anblick die Sprache. Ihre ungewöhnliche Lässigkeit mir und ihrer Tochter gegenüber erhöhte ihren Charme noch. Ich legte die Handflächen aneinander und neigte mein Haupt im traditionellen pranaam. » Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen « , presste ich hervor und wurde vor Verlegenheit ganz rot.
» Kommt, setzt euch und trinkt einen Tee mit mir. «
Ayesha führte uns zu den Kissen und bedeutete uns, dass wir rechts und links von ihr Platz nehmen sollten. Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich tun durfte, weil es nicht üblich war, dass eine Maharani sich auf Augenhöhe mit ihren Untertanen begab. In unserer zenana blickten die Maharanis von Stühlen auf uns herab.
Als Indira neben ihrer Mutter auf den Kissen niederkniete, folgte ich ihrem Beispiel und machte mich so klein und unauffällig wie möglich. Ayesha klatschte in die Hände, und sofort eilte eine Dienerin aus dem Zelt herbei.
» Chai « , befahl die Maharani, und die Dienerin verschwand mit einer Verbeugung wieder im Innern. Ayesha wandte sich mir zu. » Indira redet die ganze Zeit nur von ihrer neuen Freundin Anahita. Sie sagt, du sprichst sehr gut Englisch. Wo hast du das gelernt? «
» Von meinem Vater, Hoheit. Er war Gelehrter und Lehrer « , antwortete ich mit leiser Stimme.
» Du kannst dich glücklich schätzen, als Mädchen Bildung genossen zu haben. Leider halten viele Väter es immer noch für überflüssig, die Köpfe ihrer Töchter mit Wissen zu füllen. Du könntest Indira ein bisschen mehr Disziplin im Unterricht beibringen « , sagte sie und zerzauste ihrer Tochter zärtlich die Haare. » Sie ist klug, wahrscheinlich klüger als ihre Brüder, aber ihr fehlt die Geduld zum Lernen. «
» Ma, du weißt doch, dass ich Tigerbändigerin werden möchte, nicht Lehrerin! « , erklärte Indira.
Wieder verblüffte es mich, wie offen und locker Mutter und Tochter miteinander umgingen.
» Indira sagt, du lebst im Mondpalast in Jaipur? « , fragte die Maharani.
» Ja. «
» Jaipur ist eine schöne Stadt « , stellte sie lächelnd fest.
Der Tee wurde serviert und eingeschenkt. Während ich daran nippte, konnte ich es immer noch kaum fassen, dass ich mit der berühmten Maharani von Koch Bihar auf deren Seidenkissen chai trank.
» Ma, ich kann ohne Anahita nicht abreisen « , verkündete Indira plötzlich. » Ich möchte, dass sie uns begleitet und bei uns im Palast in Koch Bihar lebt. «
Ich senkte errötend den Blick.
Die Maharani hob eine schön geschwungene Augenbraue. » Verstehe. « Sie sah mich an. » Hat Indira darüber schon mit dir gesprochen, Anahita? «
» Ich… nein, Hoheit « , stotterte ich.
» Indira, ich kann mir kaum vorstellen, dass Anahita ihre Familie, ihr Zuhause und ihre Freunde verlassen möchte, um bei uns zu leben. Du bist wieder einmal sehr egoistisch. Anahita, du musst meine Tochter entschuldigen. Manchmal redet sie, bevor sie denkt. «
» Aber Ma, ich bin so allein, jetzt, wo meine Geschwister im Internat sind. Du sagst doch selber, dass Anni mich zum Lernen anspornen und mir in Englisch helfen könnte « , erklärte Indira. » Im Moment ist sie die Gefährtin von Prinzessin Jameera und tut für sie genau das. «
» Umso mehr Grund für Anahita, nicht mit uns zu kommen. Der armen Prinzessin Jameera würde sie sicher fehlen. Du kannst Menschen nicht einfach so entführen, Indira, egal, wie sehr du das möchtest.
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