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Die Mitternachtsrose

Die Mitternachtsrose

Titel: Die Mitternachtsrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucinda Riley
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galoppierte ich Indira, die sich als ausgezeichnete Reiterin entpuppte, noch hinterher. Wenn ich in halsbrecherischer Geschwindigkeit vor Vergnügen lachend den Park durchquerte und der Wind meine Wangen peitschte, fühlte ich mich freier, lebendiger und glücklicher als je zuvor.
    Ich benötigte viele Wochen, bis ich in der Lage war, sie zu überholen, und als es mir schließlich gelang, freute Indira sich mit mir.
    An Wochentagen wurden wir nach dem Frühstück von einem Privatlehrer unterrichtet. Indira hatte die Konzentrationsfähigkeit einer Taufliege, und ich brachte sie nur mit all meiner Überredungskunst dazu, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Ich ertappte sie dabei, wie sie nach draußen schaute und den Moment herbeisehnte, wenn sie endlich ihr geliebtes Elefantenbaby Pretty besuchen und einen kurzen Ausritt auf seinem Rücken unternehmen oder auf dem gepflegten Platz Tennis spielen konnte.
    Ich hingegen war froh, mich weiterbilden zu können. Unser Englischlehrer, ein Brite, bestärkte mich in meiner Liebe zu Büchern. Vermutlich freute er sich genauso darüber, mich als Schülerin zu haben, wie ich, dass er mich unterrichtete. Mein Wortschatz wuchs, und ich bemühte mich sehr, mich mit Indira so oft wie möglich auf Englisch zu unterhalten, wie die Maharani mich gebeten hatte.
    Außerdem hatte die Maharani eine englische Erzieherin für ihre jüngste Tochter engagiert, Miss Reid, eine sanftmütige Frau, die an der Aufgabe verzweifelte, die wilde Indira in eine Dame zu verwandeln.
    Zahllose Male befolgte Indira ihre Bitte, nicht zu spät zum Mittagessen zu kommen oder ein Buch zu lesen, nicht. Sobald Miss Reid ihr den Rücken zukehrte, zwinkerte Indira mir zu, und wir machten uns zum nächsten Abenteuer auf.
    Einer meiner Lieblingsorte im Palast war die riesige Bibliothek mit ihren wertvollen Erstausgaben von namhaften Autoren aus aller Welt. Die Glasvitrinen mit diesen Büchern blieben immer verschlossen; sie dienten lediglich der Dekoration. Ich bezweifle, dass irgendeiner der Bände in all den Jahren, die sie dort standen, je herausgenommen und gelesen worden war. Ich betrachtete sie oft mit sehnsuchtsvollem Blick, denn ich musste mich mit den abgegriffenen Ausgaben von Sturmhöhe, Oliver Twist und Hamlet begnügen, die der Englischlehrer aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Sie las ich an den langen, friedlichen Nachmittagen wieder und wieder.
    Viele andere Nachmittage verbrachte ich in dem schönen luftigen Zimmer, das ich mit Indira teilte und in dem ich vom Bett aus die himmelblauen, mit kleinen Blumen geschmückten Wände betrachtete und den Göttern dankte, dass sie mich hierhergeführt hatten. Indira, die sonst ständig unter Hochspannung stand, schlief auf der Stelle ein, während ich im Geist noch einmal die Ereignisse des Tages durchging.
    In der Abenddämmerung erwachte der Palast zum Leben. Dies war meine liebste Tageszeit; wir freuten uns alle darauf, weil dann immer exotische Gäste aus der ganzen Welt zum Essen kamen. Indira und ich sahen gern zu, wie die Diener den Tisch im riesigen Speisesaal mit edelsteinverziertem Besteck, Tellern aus reinem Gold und riesigen Vasen mit prächtigen Blumen deckten. In der Luft lag der Duft von Weihrauch, der von einem Bediensteten in einem silbernen Fass in den unteren Räumen geschwenkt wurde.
    Nachdem wir an meinem ersten Abend im Palast gegessen hatten, wurde ich mit dem nächsten Ritual vertraut gemacht. Als Indira mir sagte, wohin es gehen sollte, war ich schockiert.
    » Wir sollen deiner Mutter beim Ankleiden für den Abend zusehen? Warum? « , fragte ich.
    » Keine Ahnung. Sie mag es einfach, wenn wir alle dabei sind. « Indira zuckte mit den Achseln.
    Auf dem Weg durch den riesigen Kuppelbau der Durbar Hall, der den Mittelpunkt des Palasts bildete und dessen Eingang groß genug war für einen ausgewachsenen Elefanten mit einem Maharadscha im howdah, dachte ich, wie sehr es mir selbst missfallen würde, beim Ankleiden Gesellschaft zu haben.
    Als wir die Privatgemächer der Maharani betraten, konnte ich kaum glauben, wie viele Menschen sich in dem Boudoir aufhielten. Dienerinnen, Verwandte, Freundinnen und wir Kinder füllten den Raum. Und im Mittelpunkt des Gewühls saß an ihrem perlmuttverzierten Frisiertisch die Maharani.
    Indira zog mich zwischen den Menschen hindurch zu ihrer Mutter.
    » Anni ist da, Ma! « , rief sie triumphierend.
    » Das sehe ich « , meinte die Maharani lächelnd. » Jetzt kehrt dein Appetit sicher wieder, Indira. «

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