Die Mitternachtsrose
saß.
» Pa, nichts kann mich auf England vorbereiten « , klagte Indira. » Du weißt, dass ich das Land hasse. «
» Genauso, wie ich es hasse, mich ständig mit Staatsgeschäften herumschlagen zu müssen und nie einen Tag für mich zu haben « , erinnerte ihr Vater sie. » Indira, du musst lernen, dass es im Leben nicht nur ums Vergnügen geht. «
Wir kehrten früher als üblich von Darjeeling nach Koch Bihar zurück, um uns auf die Reise vorzubereiten. Die gesamte Familie sollte mit dem Schiff nach England fahren, was bedeutete, dass riesige Koffer und Kisten gepackt werden mussten– die Maharani bestand darauf, immer einen beträchtlichen Teil ihres Hausstands mitzunehmen. Indira verfiel in eine Niedergeschlagenheit, aus der nicht einmal ich sie herausholen konnte. Sie bestand darauf, in der Nacht bei ihrem kleinen Elefanten Pretty im pilkhana zu schlafen, und obwohl ich mit Engelszungen auf sie einredete, gelang es mir nicht, sie wieder in unser Zimmer zu locken.
» Ich kann ihr nicht einmal versprechen, dass ich in den Weihnachtsferien nach Hause komme « , schluchzte sie mit einem Blick auf die Schrankkoffer. » Es ist nicht genug Zeit zum Zurückfahren. Ich werde Pretty fast ein ganzes Jahr lang nicht sehen! «
Ich packte meine wenigen Habseligkeiten, das Kräuterbuch meiner Mutter, ihr shil noda und eine kleine Auswahl getrockneter Kräuter für den Fall, dass ich in England krank wurde. Nach reiflichem Überlegen beschloss ich, meine Rubine unter dem Pavillon zu lassen, weil ich sie dort sicherer glaubte als in meinem Gepäck.
Vier Tage später stand ich an Deck des größten und prächtigsten Schiffs, das ich jemals gesehen hatte, und beobachtete, wie wir von den Docks von Kalkutta ablegten. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass wir länger wegbleiben würden, als wir beide glaubten.
Das Gefolge des Maharadschas war in herrlichen Oberdecksuiten untergebracht. Indira und ich hatten unsere eigene Kabine am Ende des Flurs, der für die Familie, Butler, Dienstmädchen und anderen Bediensteten gebucht war. Ich konnte nur staunen, wie viel Geld der Maharadscha sich diese Reise kosten ließ.
Sogar Indira rang sich ein Lächeln ab, als wir die moderne Einrichtung unseres Zimmers inspizierten. Da wir inzwischen fast vierzehn waren, durften wir an den Cocktailpartys teilnehmen, die Indiras Eltern in ihrem großen Salon gaben. Wie Indira hatte ich eine Garderobe im westlichen Stil erhalten– seltsam geschnittene Musselinblusen und kratzende Wollpullover, die ich, wie man mir mitteilte, benötigen würde, sobald wir das kalte England erreichten.
Als ich mich mit den winzigen Perlenknöpfen an meiner unangenehm engen Bluse abmühte, sah ich im Spiegel, dass mein Körper allmählich weibliche Formen anzunehmen begann. Miss Reids Vorschlag, einen Büstenhalter zu tragen, war mir schrecklich peinlich gewesen. Außerdem hatte sie mir Stoffstreifen gegeben für das, was sie meine » Monatsblutungen « nannte. Eine hatte sich kurz zuvor zu meinem Entsetzen eingestellt, doch danach hatte ich Gott sei Dank keine mehr gehabt. Mein neuer, vollerer Körper wurde dadurch noch auffälliger, dass sich der von Indira kein bisschen verändert zu haben schien. Sie war in die Höhe geschossen und nicht in die Breite gegangen und jetzt fast zehn Zentimeter größer als ich. In ihrer Gesellschaft kam ich mir vor wie ein Granatapfel neben einer Banane.
» Seid ihr bereit, Mädchen? « , fragte Miss Reid, als die Dienerin mit dem Kämmen von Indiras ebenholzfarben glänzenden Haaren fertig war.
» Ja, Miss Reid « , antwortete ich für uns beide.
» Das wird bestimmt schrecklich langweilig « , jammerte Indira, als wir die Kabine verließen, um zum Salon zu gehen. Beim Betreten des riesigen, reich geschmückten Raums hörten wir eine Band westliche Musik spielen. Das Licht der Kronleuchter spiegelte sich im Schmuck der weiblichen Gäste. Alle hatten westliche Kleidung an, auch die Maharani, die ein wunderschönes saphirblaues Abendgewand trug. Ich weiß bis heute nicht, ob sie mir im Sari oder im Cocktailkleid besser gefiel– Ayesha stand beides gleich gut.
» Bleib bei mir, ja? « , bat Indira mich und zog mich zwischen den Menschen hindurch.
» Darf’s etwas zu trinken sein, Madam? « Ein Lakai in schicker weißer Uniform hielt uns ein Tablett hin.
Indira nahm zwei Gläser Champagner. Der Kellner sah sie fragend an, doch bevor er etwas sagen konnte, war Indira schon in der Menge verschwunden, und ich eilte ihr
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