Die Mondrose
gegen irgendetwas Einspruch zu erheben. Ich gehe dann und bereite die Papiere vor, ja? Da ich selbst von der Materie so erschreckend wenig verstehe, habe ich einiges Raymond Nettlewood, dem Buchhalter meines Vaters, übergeben. Ich werde ihn morgen früh bitten, dich in alles einzuweisen.«
Noch einen Herzschlag lang sah er sie an, dann wandte er sich zum Gehen. In dem einen Moment aber glaubte sie, in seinem Blick ein Bitten zu erkennen. Sie sprang auf. »Bleib!«, rief sie ihm nach.
Er drehte sich um. Mit schweren, langsamen Schritten ging sie auf ihn zu. Er hielt ihr die Hände entgegen, die nach oben gedrehten Gelenke, als wäre sie gekommen, um ihn seiner Bestrafung zuzuführen. Mildred sah auf die blau sich zeichnenden Adern, in denen sein Blut klopfte. In einem Gefängnis hätte all das binnen Tagen seinen Zauber verloren – die zarten, exquisiten Gelenke, die eleganten, wenn auch wund gewaschenen Hände, das herzzerreißend schöne Gesicht. Ich lasse es niemals zu, begehrte eine Stimme in ihr auf. Sooft ich dich kränke, ich werde nie erlauben, dass ein anderer es tut. Sie nahm seine Hände in die ihren und führte sie an ihre Lippen, küsste die offenen, blutigen Stellen. Dann zog sie sein Gesicht so nah an ihres, dass ihre Stirnen sich berührten.
»Mildred«, flüsterte er gequält.
Beschwor er, bat er sie? Wieder einmal schien alles andere ausgelöscht, nur der Wunsch, es ihm zu sagen, loderte in ihr auf. Ich liebe dich, Hyperion, ich habe dich immer geliebt. Unter all deinen Schwächen und Fehlern sehe ich noch immer einen Mann, der für die Niederungen der Welt zu edel, zu empfindsam und zu kostbar ist.
»Mildred«, wiederholte er, jetzt ohne Zweifel bittend.
Nein, ich werde es dir nicht sagen. Nie wieder, solange du es mir nicht sagst. Sie legte die Arme um ihn und küsste ihn auf den Hals. Ich werde dir gar nichts sagen. Nur dich dazu bringen, mir ein Kind zu machen. Wenn ich deinen Sohn in mir trage, wirst du dich zu mir bekennen, und wenn sich das Klatschvolk der Stadt die Mäuler zerreißt, stelle ich mich vor dich und schütze dich. Wir können nichts ungeschehen machen, Hyperion, aber wir können noch immer manchmal vergessen. Glücklich sein. Einander geben, was uns die Welt verwehrt.
Ehe er noch einmal Mildred sagen konnte, presste sie ihre Lippen auf seine und küsste ihn. Mit einem Auge schielte sie dabei nach dem Whisky, der ausreichen würde, um seine Skrupel zu ertränken.
Kapitel 24
Juli
D ass ihr Hotel erst bezugsfertig wurde, als einer der einträglichsten Monate der Saison verstrichen war, bedauerte Mildred, doch es ließ sich nicht ändern. Dass sie mit geradezu phänomenaler Schnelligkeit gehandelt hatte, würden selbst ihre Feinde ihr zugestehen müssen.
Schon in den ersten Tagen der Zimmervermietung hatte sie ihr Talent für Zahlen entdeckt. Es fiel ihr leicht, auszurechnen, wie viel sie für welchen Zweck benötigte und welchen Preis sie verlangen musste, um es einzuspielen. Ihre Gäste gehörten nicht zu denen, die auf den Penny achteten, sondern zu denen, die das Besondere wollten. Kein aus dem Boden gestampftes Quartier, sondern Geborgenheit, Charme und verschwenderischen Luxus eines eingesessenen englischen Heims. Wer in diesem Geschäft ein Gewinner werden wollte, musste das Wesen der Reiselust begreifen, wie Victor März es ihr in einer Regennacht erklärt hatte. Von einem Hotel wünschten sich die Besucher Urlaub von sich selbst. Die Flucht aus einer Welt, in der selbst den Reichsten Sorgen quälten, ein Zauberland der Unwirklichkeit, das man betrat, um sich neu zu erfinden. Behandelt werden wollten sie wie die königlichen Hoheiten gegenüber auf der Isle of Wight, und Mildred war entschlossen, dies einem jeden, der dafür bezahlte, zu verschaffen.
Sie hatte den Bankier nicht nur mit ihrer Unverfrorenheit, sondern auch mit ihrer Kenntnis überrumpelt, so dass er ihr die Zusage gab, noch ehe ihm selbst vermutlich klar war, worauf er sich einließ. Für alle Buchungen hatte sie einen Satz im Voraus berechnet, und am Ende blieb ihr genug, um die Eröffnung des Grandhotel Mount Othrys mit einem grandiosen Fest zu begehen.
Dass die selbsternannten Honoratioren der Stadt der Veranstaltung naserümpfend fernblieben, musste sie schlucken. Den Touristen kam die Abwechslung wie gerufen, und Touristen waren zahlende Gäste der Zukunft. Auf ihrer Reitbahn ließ sie ein Dampfkarussell auffahren und veranstaltete Kinderritte auf Louis’ Shetlandpony, die sie die Saison
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