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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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kämmen«, versetzte sie.
    Er drehte sich im Händewaschen um und sandte ihr eines jener traurig-verlorenen Lächeln, für die sie ihn hätte ohrfeigen mögen, ohne den Wunsch bezähmen zu können, ihn zu küssen.
    »Das Abendessen ist abgetragen. Aber du kannst ja mit Sarah reden, vielleicht richtet sie dir noch etwas.«
    Hyperion schüttelte den Kopf. »Was ich dir zu sagen habe, verträgt kein Essen. Nur Whisky, wenn es dir recht ist. Gehen wir in die Bibliothek?«
    Sie hätte es sich denken können. Er kam nicht zu ihr, weil er ihre Gesellschaft oder die seiner Kinder vermisste, er hätte Georgia vermutlich auf der Straße nicht erkannt. Er kam, um ihr schlechte Nachrichten zu bringen, aus keinem anderen Grund. Mit einem Schlag wusste sie, was er ihr zu sagen hatte, und begriff auch, dass sie es seit langem hätte wissen können. Seit Hector Weaver hier gewesen war und es mit seinen Blicken vorweggenommen hatte. In ihrer Brust und bis in ihre Eingeweide wurde alles kalt. Ich werde es dir nicht erlauben, war alles, was sie dachte. So, wie sie wusste, was auf sie zukam, wusste sie auch, was sie zu tun hatte.
    Sie ging in die Bibliothek und schenkte sich ein Glas ein. »Nimm dir, was du willst«, sagte sie mit einem Kopfschwenk in Richtung Karaffe, als wäre er ein Diener, dem sie ausnahmsweise einen Drink erlaubte.
    Er nahm sich nichts. Seine Feigheit war ohnegleichen. »Ich muss das Haus verkaufen«, sagte er. »Ich habe Schulden, die mein Bruder mir nicht länger stundet. Es tut mir leid, Mildred. Ich werde so gut ich kann dafür sorgen, dass du und die Kinder ein Auskommen haben.«
    Mildred, die sich nicht gesetzt hatte, um auf Augenhöhe mit ihm zu bleiben, sah ihm kalt zu, wie man ein Tier beobachtet, ehe man es fängt und quält. »Und was ist mit deiner Großmutter?«, fragte sie, obgleich es nichts Übles gab, das sie der Alten nicht an den Hals wünschte. »Und wohin gehst du?«
    »Ich kann ein Zimmer im Spital beziehen«, erwiderte er. »Und was meine Großmutter betrifft, so hoffe ich, dass mein Bruder sie aufnimmt. So wenig grün die beiden sich sind, findet mein Bruder wohl ebenso viel Genugtuung darin, mir Nell wegzunehmen wie das Haus. Es sei ihm gegönnt. Er hat hart genug dafür gekämpft.«
    »Soso«, sagte Mildred und trank einen Schluck Whisky. »Er hat also hart dafür gekämpft. Was ist eigentlich hart daran, in einem Haus wie diesem aufzuwachsen, selbst wenn man nicht das verwöhnte Lieblingssöhnchen ist? Was ist hart daran, von einem Hauslehrer Unterricht zu erhalten und als Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden, ohne einen Finger zu krümmen? Ist es hart, vom Vater ein blühendes Unternehmen zu erben, das man schröpfen kann, bis es einem gefällt, es aus Rache an seinem Bruder in den Ruin zu treiben? Möchtest du vielleicht mit mir nach London reisen, nicht um an hochgestochenen Kongressen teilzunehmen, sondern um dir anzusehen, wo ich aufgewachsen bin? Ich könnte dir beibringen, wie man hart für etwas kämpft, aber du bist ja viel zu sehr in deinem Selbstmitleid gefangen, du hast nicht einmal einen Blick dafür.«
    »Bin ich das?« Er stand hinter dem Stuhl, wie sie hinter dem Sessel stand, zwei Krieger, die sich in ihrer Deckung verschanzten. »Vermutlich hast du recht. Es tut mir leid, dir das Haus zu nehmen, Mildred. Du hast es mehr verdient als wir alle.«
    »Gut, dass du das erkennst. Wäre ich nicht gewesen, hättest du es schon vor Jahren verloren. Es gehört mir, nicht dir.«
    »Ja, das tut es. Aber es nützt nichts.«
    »Doch«, fuhr sie ihn an, »mir nützt es, denn wenn es mir gehört, kann ich damit tun, was ich will, und das Letzte, was ich will, ist, es Hector Weaver zu geben.«
    »Ich fürchte, wir haben keine Wahl. Mein Bruder hat von mir unterzeichnete Schuldscheine. Ich kann dafür ins Schuldgefängnis gehen, wenn dir das eine Befriedigung ist, aber das Haus erhält uns das noch lange nicht.«
    »O ja, das wäre mir eine Befriedigung.« Tief in der Kehle lachte Mildred auf. »Es würde dir gut bekommen, weißt du das? Schlafen im Dreck, zum Trinken Wasser, das wie Hundepisse schmeckt, zum Frühstück Schläge und weit und breit nicht die kleinste Schüssel, in der du deine kostbaren Hände seifen kannst. Es würde dich womöglich lehren, mit dem, was andere Menschen sich bitter erarbeitet haben, nie mehr leichtfertig umzugehen. Womöglich würde es dich aber auch gar nichts lehren. Und womöglich würde ein Schwächling wie du nicht länger als vier Wochen

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