Die Mondrose
überleben, wenn man ihm ein bisschen härter zusetzt.«
Sie umfasste sein Gesicht mit ihrem Blick, damit ihr nicht entging, wenn ihre Hiebe trafen, doch sein Gesicht verriet keine Regung. »Ich will mich nicht davor drücken«, sagte er. »Aber letzten Endes fällt auch das wieder auf dich und die Kinder zurück. Ich verliere meine Ehrenrechte und meine Stellung im Spital, und aus dem Erlös des Hauses müssen wir noch die Kosten des Prozesses bestreiten. Ich hätte dann überhaupt keine Möglichkeit mehr, für euch zu sorgen.«
»Du könntest mir das Haus überschreiben«, sagte sie.
»Das darf ich nicht. Ich kann nicht Besitz weggeben, mit dem ich meinen Gläubiger auszahlen könnte.«
»Tu es trotzdem«, erwiderte Mildred. »Tu es zwischen uns. Ich werde das Dokument nur präsentieren, wenn ich dazu gezwungen bin, und keiner als wir beide wird wissen, dass das Haus dir nicht mehr gehört. Überschreib es mir, und ich rette es dir. Und das Schuldgefängnis erspare ich dir auch, selbst wenn du es hundertmal verdienst.«
Ihr Herz schlug. Wenn er jetzt einwilligte, hielt sie ihren Traum in der Hand, und niemand, weder der Teufel Hector noch die Nattern, die sich im Ort die Mäuler zerrissen, oder der Gernegroß Victor März konnte ihn ihr je wieder wegnehmen. Es bedurfte nur eines Wortes, und sie würde alles besitzen, wie sie es sich nächtelang erträumt hatte – und doch sah sie ihm in die Augen, verlor sich in dem schillernden Grau, der Schönheit, die immer traurig war, und verspürte von neuem das verhasste Begehren. Hatte sie sich jemals so machtlos gefühlt?
»Glaub mir, ich täte nichts lieber als das«, sagte er. »Wenn du willst, versuche ich das Haus noch einmal zu beleihen, aber ich nehme nicht an, dass das Aussicht auf Erfolg hat, und außerdem würde es uns höchstens über ein paar Wochen retten.«
Mildred sah von ihm weg und setzte sich, weil sie spürte, wie ihr die Beine schwach wurden. »Nicht du wirst das Haus beleihen«, sagte sie, »sondern ich. Und es wird auch kein Haus mehr sein, wenn ich morgen auf die Bank gehe und den Herren die Beteiligung an einem Geschäft anbiete, sondern das Grandhotel Mount Othrys. Nein, hol nicht Luft, um über die Entweihung aufzujaulen. Du bist nicht mehr in der Position, Wünsche zu äußern, mein Lieber. Stattdessen solltest du froh sein, wenn ich dafür sorge, dass wir im Altenteil komfortabel unterkommen. Ein Gebäude von der Größe würde in Whitechapel viermal so viel Menschen Unterschlupf bieten, also wage nicht, dich zu beklagen. Nachdem du im Schuldgefängnis gesessen hättest, wärst du nämlich nichts Besseres mehr als die Leute aus Whitechapel.«
»Ich beklage mich nicht«, sagte Hyperion. »Und ich habe, ob du es glaubst oder nicht, nie angenommen, etwas Besseres als irgendein anderer zu sein. Das, was du vorhast, funktioniert trotzdem nicht, weil die Banken nicht mit dir verhandeln werden.«
»Du wirst mir Vollmachten ausstellen«, erwiderte sie. »Überhaupt will ich, dass du mir jeden Fetzen Papier, der unsere Finanzen betrifft, übergibst. Auch das Testament deines Vaters und die obskuren Verfügungen, die Fergus Vernon aufgesetzt hat. Alles andere kannst du mir überlassen. Geh in dein Spital und suhle dich in den Ausdünstungen, die du so sehr liebst. Um unser Leben zu ordnen, brauche ich dich nicht.«
»Aber du bist doch eine Frau!«, stammelte Hyperion verblüfft.
Mildred lachte auf. »Bin ich das tatsächlich? Und ist es dir tatsächlich aufgefallen?«
»Mildred, ich …«
Sie blickte auf. Er stand noch immer hinter dem Stuhl und sah zu ihr hinunter. Seine Lider mit den aufgebogenen Wimpern flatterten. »Du magst für uns alle nichts empfinden«, sagte sie, »aber ich habe immerhin die Pflicht, diesen beiden Mädchen eine Zukunft zu sichern. Der einen, die ich geboren habe, ob ich es wollte oder nicht, und der anderen, die ich als das Letzte betrachte, was mir von Daphne geblieben ist.«
Diesmal hatte sie getroffen. In seinen Augen zuckte es, doch der Triumph, den sie sich ausgemalt hatte, blieb aus. Noch immer konnte sie sich nicht helfen – sie tat ihm weh, weil sie ihn nicht liebkosen durfte, und ihn leiden zu sehen presste ihr das Herz zusammen. »Sprich mit mir«, herrschte sie ihn an.
»Was soll ich denn sagen, Mildred?«
»Dass du einverstanden bist. Dass du mir freie Hand lässt.«
»Das habe ich doch schon einmal getan. Natürlich hast du freie Hand. Wie du richtig bemerkst, bin ich nicht mehr in der Position,
Weitere Kostenlose Bücher