Die Mondrose
teilen können – die Erinnerung an Daphne, die Liebe, den Verlust und die Schuld. Aber das ist kein Fundament, auf dem ein Haus gut steht. Kannst du mir glauben, dass ich dir so viel Besseres gewünscht hätte? Einen Mann, der dir Liebe und Respekt erweist und dir das Leben bietet, das du verdienst.«
Sie musste mit all ihren Kräften an sich halten, um ihn nicht zu schlagen. »Spar dir dein ewiges Gerede«, bellte sie. »Wie du selbst bemerkt hast, kann ich mir von den schönen Worten, die irgendwann nur noch hohl klingen, nichts kaufen. Du wirst handeln müssen, mein Lieber, so sehr es dir widerstrebt.«
»Ja, das muss ich wohl. Was willst du, das ich tue?«
»Musst du wirklich mich danach fragen? Hast du keine Ehre?« Ihre Lautstärke erschreckte sie. So dicht, wie sie jetzt alle aufeinanderwohnten, bestand ständig die Gefahr, dass Nell etwas hörte, das ihrem Schlangenherzen einen billigen Triumph bescherte.
Hyperion starrte ins Leere und sagte nichts.
»Du musst mich heiraten«, zischte sie und kam sich entsetzlich erniedrigt vor.
Er senkte den Kopf. »Aber ich kann doch nicht Daphne …«
Mit Mildreds Beherrschung war es vorbei. Sie schlug ihn auf den Mund, dass es klatschte, und es verschaffte ihr Erleichterung. »Daphne ist nicht mehr da, lass das endlich in deinen Kopf! Es widert mich an, wie leicht du es dir machst. Eine Verschwundene zu vergöttern kostet dich kein bisschen Mühe, aber wenn es darum geht, dich um die Lebenden zu kümmern, ziehst du den Schwanz ein und bist nicht Manns genug.« Er biss sich auf die Lippen, dass sie nicht mehr zu sehen waren. Sie sah zu, wie sein Gesicht sich vor ihr verschloss, und hätte die Zeit zurückdrehen, alles ungeschehen machen wollen. »Hyperion!«, rief sie ihn. Mein Liebster. Warum sperrst du dich dagegen, zu begreifen, was ich dir geben könnte? Ihr Finger zitterte, während sie ihm über die zerbissenen Lippen strich. Er hielt still, reagierte nicht, bis sie ihre Hand zurückzog.
Dann sagte er: »Du hast in allem recht. Ich gehe morgen aufs Rathaus und erkundige mich, wie ich der Todeserklärung wegen vorgehen muss. Ich verspreche dir, wir heiraten so schnell, wie es juristisch möglich ist, und ich werde keinerlei Rechte daraus ableiten.«
»Was meinst du damit?«
Sein Blick traf sie. »Du musst mich nicht berühren, Mildred. Und es ist auch nicht deine Pflicht, des Nachts in mein Zimmer zu kommen. Wir haben uns tief genug entwürdigt, wir können uns das zumindest ersparen.«
Immer am Freitag war Sukies Waschtag, an dem sie des Morgens mit den beiden Zimmermädchen alle Schmutzwäsche der Pension einsammelte und den Tag damit verbrachte, jedes Stück zu waschen und es auf Leinen kreuz und quer im Hof aufzuhängen. Es war ein außergewöhnlicher Service, den sie den Gästen bot, jeden Freitagabend sauber bezogene Betten, denn dort, wo die Gäste herkamen, wechselte niemand die Wäsche wöchentlich. Aber das, so hatte ihr Victor erklärt, war das Geheimnis des Hotelwesens: Das Leben, das die Gäste daheim führten, verschwand, und stattdessen erstand ein anderes, in dem jeder sein durfte, was er sich erträumte. Ein Prinz in seinem Schloss, wenn auch das Schlossfenster Ausblick auf einen Hof voller Wäscheleinen bot. Umsorgt wurde der prinzliche Gast, als würde sich die Welt um nichts als seine Wünsche drehen. So wollte es Victor. Und was Victor wollte, war Sukie Befehl.
Meist bekam sie ihn den ganzen Tag nicht zu Gesicht, weil er so viel Arbeit hatte. Er machte alles selbst, holte Gäste vom Bahnhof ab, nahm Reparaturen am Gebäude vor, erledigte die gesamte Buchhaltung und handelte Bedingungen mit Lieferanten aus. Für den Empfang hatte er ein frisch und adrett wirkendes Mädchen eingestellt, doch um spezielle Wünsche seiner Gäste kümmerte er sich persönlich. Darüber hinaus übernahm er noch immer Aufträge für Hector Weaver und zahlte den Lohn in sein Sparbuch ein. Kam er nach Hause, so wirkte er grimmig und in sich gekehrt und war sichtlich froh, wenn Sukie ihm seine Ruhe ließ. Nach ein paar gemurmelten Worten des Lobes zog er sich in sein Büro zurück, wo er über Papieren oft bis in die frühen Morgenstunden saß.
Sukie machte sich Sorgen um ihn, aber sie konnte ihm nicht helfen. Sie wusste, dass sein geplatzter Traum vom Grandhotel noch immer an ihm nagte und dass er sich davon durch nichts auf der Erde abbringen ließ. Zweimal hatte sie versucht ihm zu erklären, dass ein Schuster besser bei seinen Leisten blieb und dass es
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