Die Mondrose
gesprochen hatte. Dieses Kind sprach auch reif für sein Alter, es sprach, wie Louis mit vier Jahren gesprochen haben mochte, und jetzt war Louis bald sechs. Ob er sich noch an seinen Vater erinnerte? »Es geht nicht«, wies er die Kleine unwirsch zurecht. »Jetzt geh und spiel, bis Mildred kommt und euch zum Frühstück bringt.« Ich muss Mildred vorschlagen, eine Kinderfrau zu engagieren, dachte er. Er hatte es schon einmal getan, woraufhin sie sich ereifert hatte, sie wolle die Erziehung der Mädchen keinem hergelaufenen Ding überantworten. Es war gut von ihr, und dass sie Daphnes Kind nicht anders behandelte als ihre eigenen, war mehr als gut, aber jetzt, zu Saisonbeginn, war sie mit drei Kindern überfordert.
Daphnes Kind. Mit ein paar Herzschlägen Verspätung traf ihn der Gedanke wie ein Hieb.
»Ich komm doch mit, ja?«, piepste Esthers Stimmchen.
Wie von selbst ging Hyperion in die Hocke. »Warum willst du denn nicht hierbleiben und mit Mildred und deinen Schwestern spielen?«, fragte er. »Wenn es nicht regnet, geht Mildred gewiss mit euch zum Clarence Pier und du kannst das Meer sehen.«
»Will nicht!«, rief das kleine Mädchen, und sein blasses Gesicht lief vor Anspannung rot an. »Lieber beim Sterben zusehen.«
»Aber mit Mildred hast du es doch viel netter.«
»Nein. Nicht nett.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin schmutzig. Ich sage schlechte Dinge. Ich mache Mildred böse.«
»Aber nicht doch.« Er versuchte zu lachen. »Du bist ein sauberes, artiges Mädchen, und du machst Mildred bestimmt nicht böse.«
»Doch, doch, doch!«, rief das Kind. Statt mit dem Fuß zu stampfen, schlug es sich auf den Hinterkopf. Dann streckte es den Arm aus und schloss seine kleine Hand um seine. »Bitte lass mich mitkommen. Bitte, bitte, bitte!«
Hyperion seufzte. Um Probleme wie dieses zu lösen, war er nicht geboren. Halbherzig erhob er sich, ohne die Hand der Kleinen loszulassen, aber auch ohne ihr in die Augen zu sehen. »Also komm.« Er würde mit Mildred sprechen müssen. Vielleicht war sie mit dem zarten Kind zu streng. Für den Augenblick aber war es das Einfachste, Esther mitzunehmen. Vielleicht konnte er im Spital eine Schwester bitten, sich um sie zu kümmern.
Kapitel 27
Southsea bei Portsmouth, Mai 1868
M ildred schnitt Rosen. Max taugte als Gärtner weit weniger als bei den Pferden, und sie hätte jemanden einstellen müssen, doch eine letzte Saison lang verschob sie es. Der Ausbau des Altenteils hatte Unsummen verschlungen, weil es ihr widerstrebte, an dem Haus zu sparen, in dem Phoebe aufwachsen würde. Phoebe war nicht der ersehnte Sohn, ihr Haar war zu einem blassen Braun gedunkelt, und Hyperion beachtete sie so wenig wie Georgia, aber Mildred häufte all ihre Liebe auf sie. Sie ertrug sowohl Esther als auch Georgia nur mit Mühe, weil Esther aussah wie Daphne und Georgia aussah wie sie, nur fehlte beiden der Reiz. Phoebe hingegen war leicht zu ertragen. Ich werde für dich sorgen, mein Mädchen, ich werde dir den Weg bereiten. Aus dieser verfluchten Familie soll einmal eine glücklich sein.
Dafür lohnte es sich, die Plage des Rosenschneidens auf sich zu nehmen. Ziel war es, die Rosenstöcke, die jetzt, Anfang Mai, bereits voller Knospen standen, so zurückzustutzen, dass sie auf das Rondell, auf dem an schönen Tagen Tee serviert wurde, keine Schatten warfen. Sie hätten früher beschnitten werden müssen, behauptete Max. »Jetzt, wo sie blühen, tut der Rose jeder Trieb, den man ihr nimmt, weh«, hatte der sonst wortkarge Mann gesagt. »So wie es dem Menschen weh tut, der sie aufgezogen hat.«
Pah! Mildred schnaubte. Max war der gute Geist des Haushalts, doch er sollte sich hüten, sich aufzuspielen. Zornig säbelte sie erst mit der Schere, dann mit dem Messer an einem Ast des größten Rosenstocks herum. Sie mochte diesen Stock ohnehin nicht. Seine Zweige erinnerten an gekrümmte Glieder, die Stiele der Blüten waren so missgebildet, dass man sie unmöglich in einen Strauß einbinden konnte, und die verholzten, unschönen Äste ragten weit über das Rondell. An manchen prangte zwar eine sich öffnende Knospe, aber kein einziges Blatt. Blauer Mond hieß die Sorte, die schwere bläulich blasse, an den Tod gemahnende Blüten zeugte. Daphne hatte sie geliebt.
Warum behalte ich ihn? Ist es nicht mein Garten, kann ich nicht darin tun, was ich will?
Wenn sie den Stock entfernen würde, bekämen die properen Teerosen links und rechts davon mehr Licht. Kurzerhand warf sie das Messer
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