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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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»Aber eine Ehe ohne Segen ist in unseren Kreisen nun einmal überhaupt keine Ehe.«
    Sie hatte es Hyperion mehr als einmal gesagt: »Ich will in Sankt Thomas getraut werden wie jede Braut unseres Standes. Ohne kirchliche Trauung erkennt man unsere Ehe hier nicht an – und habe ich vielleicht weniger Recht darauf als andere?« In diesem Punkt aber blieb er stur, so wie er sein Schlafzimmer verschloss und sich von ihr nicht berühren ließ. »Herrgott, du glaubst doch ohnehin an keinen Gott«, hatte sie ihn angefahren, und er hatte, wie es ihr verhasst war, mit den Schultern gezuckt und sie gefragt: »Weiß man immer so genau, was man glaubt? Ich kann nicht noch einmal in einer Kirche getraut werden, Mildred, das ist das Einzige, was ich weiß.«
    Das größte Ärgernis war, dass er sich nicht mehr erpressen ließ. Wenn sie ihm sagte, sie würde von dem geheimen Dokument Gebrauch machen, falls er sich ihrem Wunsch nicht füge, erwiderte er: »Dann wirst du das tun müssen, Mildred. Verdenken kann es dir kein Mensch.«
    Sie hasste ihn mehr denn je. Sie liebte ihn mehr denn je. Der Kampf, den die beiden Leidenschaften sich unentwegt in ihrem Inneren lieferten, kostete sie jeglichen Frieden. Vielleicht war Hyperion vor den Augen anderer Menschen nicht einmal mehr schön, so übermüdet und ungepflegt, wie er herumlief. Für Mildred aber blieb er das schönste, begehrenswerteste Objekt auf der Welt. Er war ihr schöner, unnahbarer Eisblock. In einem Moment wollte sie die Axt in ihn hineinschlagen wie in den Stamm der Rose, und im nächsten wollte sie ihren warmen Leib an ihn schmiegen, um ihn zu schmelzen.
    »Meine Ehe und meine Töchter gehen dich nichts an«, warnte sie Nell viel schwächer als beabsichtigt.
    »Darin dürften wir endlich einmal einer Meinung sein«, entgegnete diese und nahm zwischen zwei Finger ein mit Gurke belegtes Butterbrot, das Brot wie Papier geschnitten und die Gurke so dünn, dass sie sich wellte. »Um ehrlich zu sein, deine Ehe und deine Töchter interessieren mich in etwa so sehr wie aller Reis in China. Meine bedauernswerte Urenkeltochter ist darin allerdings nicht eingeschlossen.«
    Sie sind alle drei deine Urenkeltöchter, wäre Mildred um ein Haar herausgeplatzt. Zorn auf sich selbst verschnürte ihr die Kehle. So sehr sie die Hexe in ihre Schranken verweisen und von ihren Kindern fernhalten wollte, so sehr sehnte sie sich danach, sie möge ein einziges anerkennendes Wort über die Mädchen sagen. Gab Mildred sich nicht alle Mühe? Sie hatte ein Cembalo gekauft, sie hatte einen Lehrer engagiert und suchte bereits nach einem französischen Fräulein. Sie hütete die Kinder wie ihre Augäpfel, stattete sie aus wie Prinzessinnen und ließ sie nach den neuesten Erkenntnissen ernähren. »Wie Esther erzogen wird, bestimme ich«, sagte sie. »Deine Einmischung ist dabei nicht vonnöten.«
    Nells scharfe Schneidezähne trennten eine Krume von der Brotscheibe. »Und darin sind wir wieder einmal einig, uneinig zu sein. Ich habe sehr wohl vor, mich in Esthers Erziehung einzumischen, und ob du dazu deine Zustimmung gibst, bedeutet mir, mit Verlaub, wiederum nicht mehr als Chinas Reis.«
    »Ich warne dich! Du weißt nicht, wozu ich in der Lage bin.«
    Die Alte tat etwas, das man bei ihr höchst selten sah – sie lächelte, was ihren winzigen Mund in ein Spinnennetz aus Falten senkte. »Arme Mildred«, sagte sie. »Ist zu so vielem in der Lage und doch völlig machtlos. Ich bin alt, meine Liebe. Weißt du eigentlich, was das für eine Freiheit verleiht? Was könntest du einer, die mit einem Bein im Grab steht, schon antun? Spiel dich nur auf, spreiz dein Gefieder wie ein Hähnchen, es rauscht an mir vorbei wie eure Eisenbahn, die sich irgendwann erledigt haben wird. Mir geht es allein um das Kind. Dass du es ständig in seiner Würde verletzt, kann ich nicht verhindern, aber es scheint mir eine Natur zu besitzen, die daran nicht zerbricht. Die feine Empfindsamkeit und den Liebreiz hat sie von ihrer Mutter und Amelia, doch von meiner Seite kommt eine gewisse Unverwüstlichkeit hinzu. Wenn ich ihr ein wenig das Rückgrat stärke, wird sie lernen, deine Schikanen wegzustecken.«
    Mildred musste nach Atem ringen. Dass Nell Weaver ein Biest war, wusste sie seit langem, aber dass sie es offen eingestand, schlug dem Fass den Boden aus. »Hast du ihr deshalb eingeredet, ihre Mutter habe die gottverfluchte Rose gepflanzt?«, fragte sie.
    »In der Tat.« Nell lächelte noch immer.
    »Aber das ist eine

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