Die Mondrose
Behutsam, mit bloßen Fingern, berührte sie seine Wange. »Wenn du wirklich glaubst, wir sollten diesen Wahnsinn wagen, dann nützt mir kein Handschuh. Dann muss ich dir vertrauen.«
Sehr langsam, den Blick voll seligem Unglauben, stand er auf. Als er sie küsste, begriff sie, dass sie ohnehin keine Wahl hatte. Sie war sein, sie war in seiner Gewalt, und dass er ebenso in ihrer Gewalt war, machte nichts leichter. Sie würde es nicht ertragen, wenn er ihr Schmerz zufügte, und wenn sie ihm Schmerz zufügte, würde sie es sich nicht verzeihen.
Ihrer Mutter sagte sie es am Abend in der winzigen Stube, die ihnen als Wohnraum und Küche diente. »Ich habe eingewilligt, Horatio Weaver zu heiraten.« Dann brach sie in Tränen aus.
Ihre Mutter stand auf, zog ihre Tochter in die Arme und ließ sie weinen. »Ach, mein Mädchen«, klagte sie und streichelte ihr Haar. »Ach, mein armes Mädchen.«
Als Lydia sich beruhigt hatte, versuchte sie sich an einem Lächeln. »Die meisten Mütter würden in hellen Jubel ausbrechen, wenn ihre Töchter ihnen sagten, sie wollten einen der reichsten Erben der Stadt heiraten.«
»Ich bin zu alt und zu müde, um in Jubel auszubrechen«, erwiderte die Mutter. »Mir liegt an deinem Wohlergehen, an sonst nichts, und einen Mann, der ein beherztes Mädchen wie dich zum Weinen bringt, den hasse ich schon jetzt. Die ganze Stadt hasst ihn. Von den beiden Weavers heißt es, der Vater sei ein harmloser Teufel gegen den Sohn.«
»Horatio ist kein Teufel«, sagte Lydia. »Den Hass der Stadt hat er sich redlich verdient, aber ein Teufel würde nicht darunter leiden.«
Prüfend sah die Mutter ihr ins Gesicht. »Du liebst ihn ja.«
Lydia entgegnete nichts, und die Mutter zog sie wieder in die Arme. »Ach, mein armes Mädchen.«
Sacht befreite sie sich. »Vermutlich begehe ich den größten Fehler meines Lebens«, sagte sie. »Vermutlich sollte ich mich auf dem nächsten Auswandererdampfer einschiffen und ans Ende der Welt flüchten. Aber kann ich denn meinen Schülerinnen predigen, sie sollen zu ihrem Wort stehen, wenn ich selbst es nicht tue?«
»Wenn du mich fragst, kannst du alles tun, was dich aus dieser Lage rettet«, erwiderte die Mutter. »Aber du wirst es nicht tun. Du warst schon als Kind mein viel zu tapferes Mädchen, das seine Versprechen hielt, und wenn dieser Kerl dir ein Leid zufügt, nehme ich den Schürhaken und schlage ihn tot.«
Lydia musste lachen, obwohl sie nichts daran komisch fand. In der Nacht ließ die Angst sie nicht schlafen, und am Morgen begann die Vorbereitung auf ihr Leben als verheiratete Frau.
Die Hochzeit sollte sein, wenn der Winter begann. Lydia wollte sie so still und unauffällig wie möglich, aber Horatio versteifte sich mit begeistertem Eifer auf ein Fest. »Wenn du einen Saal mieten und eins eurer Bankette abhalten willst, hättest du dir die passende Frau suchen müssen«, schalt sie ihn.
»Das will ich nicht«, erwiderte er. »Keinen Saal und kein Bankett, und vermutlich kommen keine drei Gäste, weil ich so beliebt bin wie ein Steuereintreiber mit Syphilis. Ich habe nie etwas feiern wollen. Auf den Gesellschaften meiner Eltern habe ich das Porzellan zerschlagen, und ihren Weihnachtsbaum habe ich in Brand gesetzt. Aber wie kann ich denn nicht feiern, dass du bei mir bleibst, Lydia? Dass ich in diesen Kerker, in dem ich allein war, nicht mehr zurückmuss?«
Es war, wie er sagte. Er hatte sich in einen Kerker gesperrt, in dem kein Mensch ihn erreichte, und jetzt war er frei und lächelte, wenn jemand ihn ansprach, überließ manchem sogar seine Hand und war reizend zu ihrer Mutter. Sie wollte den Tag, vor dem sie sich fürchtete, nicht feiern, aber sie konnte es ihm auch nicht verwehren. Ich begehe den größten Fehler meines Lebens, dachte sie wieder. Sie dachte es ständig. Und doch gab es Augenblicke, in denen etwas Neues in ihr laut wurde, ein wildes, fremdes Glück, anders als alles, was sie sich mit Fleiß und Vernunft erarbeitet hatte und so, als wäre nicht nur Horatio, sondern auch sie selbst nie zuvor einem Menschen nah gewesen.
Er habe ihr so gern etwas schenken wollen, sagte er und brachte ihr einen Handspiegel und eine Bürste mit wundervollen ziselierten Silberrücken. »Glaubst du wirklich, damit machst du mir Freude?«, fragte sie. »Bin ich eine Frau, die ihre Zeit mit Haarpflege vergeudet?«
Kleinlaut schüttelte er den Kopf. »Dein Haar ist so schön. Ich dachte, sie würden zu dir passen.«
»Zu mir passt kein sündhaft teurer
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