Die Mondrose
Tand, für den Frauen und Kinder in Silberwerkstätten Schmutz, Maschinenlärm und giftigen Chemikalien ausgesetzt sind.«
»Es tut mir leid«, murmelte er, nahm den Spiegel und die Bürste weg und wollte sich trollen.
Seine Reue schnitt ihr ins Herz. »Ich wollte dir nicht weh tun, Horatio.«
Er drehte sich um. »Tu mir weh, wenn ich mich wie ein Idiot benehme«, sagte er. »Nur gib mich nicht auf, darum bitte ich dich.« Die Silberwaren verkaufte er und gab das Geld Esther, die im Herbst als Jahresbeste ihr Examen abschloss.
Wochen später bat er Esthers Vater um einen Termin zur privaten Konsultation. Lydia erfuhr davon, weil Esther sie fragte – ihr Vater wunderte sich, denn er behandelte schon lange keine privaten Patienten mehr, und mit seinem Neffen pflegte er keinen Kontakt. »Vater mag ihn nicht«, sagte Esther traurig. »Weshalb will Horatio ihn sprechen? Er ist doch nicht krank?«
Lydia wusste es auch nicht. Am Abend zwang sie ihn, ihr Rede und Antwort zu stehen. Er wand sich wie ein Aal. »Es war Noras wegen«, behauptete er schließlich.
»Du hast geschworen, mich nie zu belügen!«, herrschte sie ihn an.
»Ich lüge ja nicht. Mit Noras Krankheit wird es schlimmer. Sag, Liebste, würde es dir viel ausmachen, wenn sie zu uns käme? Natürlich können wir nicht alle in zwei Schlafzimmern hausen, aber du hast gesagt, du brauchst kein Geld für Personal, und die Bank würde mir einen Kredit einräumen. Wir könnten ein Haus kaufen, ein kleines nur, doch wir hätten alle darin Platz.« Bei dem ungewohnten Redefluss wirkte er so jung, wie er war. »Ich habe Angst, Nora stirbt, wenn sie bei meinem Vater bleiben muss.«
»Horatio«, rief Lydia scharf und wunderte sich, dass sie die Frage nie zuvor gestellt hatte, »was hat dein Vater mit euch gemacht?« Er schüttelte den Kopf, und für diesmal ließ sie ihn davonkommen, weil die andere Frage sie stärker bedrängte. »Natürlich ist es mir recht, dass deine Schwester zu uns kommt. Aber dass du mich belügst, ist mir nicht recht. Du warst nicht nur Noras wegen bei deinem Onkel.«
Als er den Kopf senken wollte, packte sie sein Haar und zwang ihn, sie anzusehen. Er errötete bis über die teuflisch geschwungenen Brauen. »Du wirst mich hassen, wenn ich es dir sage.«
»Das wirst du auf dich nehmen müssen. Sei kein solcher Feigling, Horatio.«
Er holte tief Atem. »Ich habe ihn gefragt, wie sich eine Ehe führen lässt, ohne Kinder zu zeugen. Bei meinem Lebenswandel hätte ich wohl zumindest darüber Bescheid wissen müssen, aber ich habe nie daran gedacht.«
Es war das Ausmaß seiner Liebe, das sie sprachlos machte. Das Opfer, das er ihr brachte und das er ihr hatte verschweigen wollen. »Nein«, sagte sie endlich, legte die Arme um ihn und küsste ihm die Schläfe. »Für das, was vergangen ist, hasse ich dich nicht. Du hast mir ja den Wind aus den Segeln genommen, und dabei habe ich nie geglaubt, dass Männer fähig sind zu lernen.«
»Das ist das Verdienst der Lehrerin«, raunte er ihr ins Ohr. »Hyperion kommt übrigens zu unserer Hochzeit. Freut dich das? Um meinetwillen hätte er sich dazu nicht durchgerungen, aber dich liebt er innig.«
»Weshalb sollte er nicht um deinetwillen kommen? Er ist dein Onkel.«
Horatio rieb sich die Stirn. »Er ist für mich nicht mein Onkel. Ich fürchte, bei uns ist nichts, wie es sein soll. Schau dir uns alle doch an – sieht so vielleicht eine propere, gewöhnliche Familie aus?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Lydia zurück. »Meine Familie besteht aus meiner Mutter und mir.«
»Ein Grund mehr, dich zu lieben«, sagte Horatio. »Ehe ich mir noch mehr Familie auflüde, hätte ich lieber einen Kropf.«
»Zurück zu Hyperion. Warum sagst du, er ist für dich nicht dein Onkel?«
»Weil der Ärmste lieber der Onkel einer Kanalratte wäre. Ich bin ihm zuwider, und er ist ja auch nur zur Hälfte mit mir verwandt. Esther und ich haben denselben Großvater, aber zwei verschiedene Großmütter. Die von Esther war die engelhafte Tochter eines Baronets, während die meine eine sogenannte Hure war. Deshalb werden auf der einen Seite schöne, goldblonde Menschen geboren und auf der anderen hässliche, schwarze.«
»Du hältst dich doch wohl nicht ernsthaft für hässlich?«, unterbrach ihn Lydia. »Und du willst mir auch nicht ernsthaft erzählen, dass deine Großmutter eine Hure war?«
Er sah sie an, als wüsste er nicht, welche Antwort sie von ihm erwartete. »Macht es dir etwas aus?«, fragte er wie aus
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