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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Finger von dir.«
    Er machte sich weiter an den Gurten des Sattels zu schaffen, und sie sah seinem Rücken zu, den schmerzhaft gestrafften Schultern unter weißem Stoff. Als er zurückkam, um seine Kleider zu holen, hatte sein Gang das Federnde, das ihr wie Arroganz erschienen war, verloren.
    »Horatio, versteh mich doch.«
    »Das tue ich«, sagte er. »Glaub mir, ich würde mich an deiner Stelle auch nicht nehmen.«
    In Fratton hatte sich ein Mädchen um seinetwillen umgebracht. In der Garnison hatte eine Offiziersgattin für ihn ihren Mann verlassen, und in den Bars um den Clarence Pier dichteten die Kellnerinnen frivole Lieder auf ihn. Er war ein gewissenloser Wüstling, er würde ihren Namen vergessen, ehe der Sommer vorbei war.
    Er bückte sich, um Rock und Weste aufzusammeln. Lydia streckte die Hand aus und umfasste sein Gelenk. »Ich will nicht, dass es dir weh tut.«
    »Das musst du mir überlassen«, sagte er stolz und entzog ihr seine Hand. »Du kannst mir alles verbieten, nur nicht, dich zu lieben.«
    »Du liebst mich doch nicht!«
    »Weil ich kein Herz habe, Lydia? Weil gewissenlose Lumpen nicht lieben können?«
    Ihre Blicke trafen sich. Im nächsten Moment war sie aufgesprungen, und im übernächsten lag sie in seinen Armen. Dies war schlimmer als alles. Sie hatte sich geschämt, weil sie sich nicht von ihm trennte, sondern sein zärtliches Werben genoss, sie hatte sich nach seinen Küssen gesehnt und sich dafür verachtet, aber dies war das Schlimmste – dass sie ihn liebte. Nicht den genialen Physiker, dem die Wissenschaft zu Füßen lag, und erst recht nicht den schönen Verführer, dem keine widerstehen konnte, sondern den verstörten Mann, dem das Haar ins Gesicht fiel und der keine Hand frei hatte, um es wegzustreichen, der seinen Stolz dreingab und sich ihr wehrlos und verletzlich auslieferte.
    Er hielt sie fest. Als sie wieder weinen musste, hielt er sie noch fester, und als sie ihn auch festhielt, spürte sie, wie sein Rücken zuckte, weil er weinte wie sie. Sie hatte das nie erlebt, einen Mann, der Mut genug zum Weinen hatte.
    Vom Weinen atemlos hob sie den Kopf und stieß zwischen Schluchzern die Worte heraus: »Horatio, das schaffen wir doch nicht. Wie sollen wir beide das denn schaffen?«
    Er hob ebenfalls den Kopf und nahm ihr Gesicht in seine Hände, zart, wie einen Gegenstand aus Glas. Seine Wimpern, seine Wangen, alles glänzte nass. »Doch, mein Liebstes«, flüsterte er, beugte sich vor und tupfte ihr kleine lautlose Küsse um die Lippen. »Wir müssen es doch schaffen, denn wenn du und ich eine schlechte Idee sind, dann hat das Leben nie eine gute gehabt.«
    Sie beugte sich vor, küsste ihm Nässe von der Wange und sah, wie er flüchtig und verzückt die Augen schloss. »Was willst du nur mit mir?«, fragte sie noch immer weinend. »Du kannst Hunderte haben, Reiche und Schöne, die darauf brennen, dir Kinder zu gebären und dich zu verzärteln, während du von mir nur Schelte bekommst.«
    »Nein«, sagte er, beugte den Rücken und senkte seine Stirn auf ihre Schulter. »Ich kann niemanden haben. Das war schon immer so. Mir war nie ein Mensch nah. Nur du.«
    Er sprach die Wahrheit. Sie hatte ein Jahr lang erlebt, wie er sich zwischen Menschen bewegte, wie er gläserne Wände um sich errichtete und alle daran abprallen ließ. Auch die, die er liebte. Nora und Esther. Nur sie nicht. Sie legte ihm die Hand in den Nacken. Seine Haut war heiß wie im Fieber. »Du darfst mich nie belügen, Horatio. Ich könnte es nicht ertragen, wenn all dies eines Tages zur Lüge wird. Wenn es niedrig und gemein wird, wie es zwischen Männern und Frauen überall ist. Wenn du versuchst mich kleinzumachen, um dich größer zu fühlen, und leugnest, dass wir uns nah waren und voreinander Achtung hatten.«
    Er hob den Kopf und suchte ihren Blick. Ehe sie sich’s versah, sank er vor ihr auf die Knie und legte sein Gesicht an ihren Leib. »Bitte lass es mich versuchen«, murmelte er. »Ich weiß, ich habe keinen Grund, auf etwas in meinem Leben stolz zu sein, und kein Recht, von dir Vertrauen zu verlangen, aber ich könnte auf der Welt keinen Menschen mehr achten als dich.« Er schob eine Hand in die Hosentasche, zog ein Stück Leder heraus und sah bittend zu ihr auf. »Für den Notfall behalten wir den hier, ja?« Er nahm ihre Hand und legte ihr seinen ledernen Reithandschuh hinein.
    Lydias Kehle entwand sich ein Laut. »Nein«, sagte sie, knüllte den Handschuh zusammen und warf ihn über die Lichtung.

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