Die Mondrose
lange wohnst du schon dort?«
»Seit April.«
Also war es ihre Schuld. Und er hatte ihr kein Wort davon gesagt. »Dein Vater hat dich aus dem Haus geworfen, ja? Weil du mich aus dem Gefängnis geholt hast? Ich habe dir gesagt, du hättest das nicht tun dürfen. Deine und meine Welt gehören nicht zusammen. Warum weigerst du dich, das zu verstehen? Es war schön mit dir, das streite ich nicht ab. Ich habe es genossen, mit dir durch Theater und Tanzsäle zu ziehen, ich habe dein Pferd und unsere Ritte genossen, aber mein wirkliches Leben ist das alles nicht. Mein wirkliches Leben ist die Straße, auf der Frauen zusammengedroschen werden, weil sie sich Geld für Brot und ein Glas Gin verdienen. Es mag dir scheußlich erscheinen, und vielleicht ist es das auch, aber ich will es weder gegen deines noch gegen irgendein anderes tauschen.« Sie starrte auf den Boden, der vor ihren Augen verschwamm. »Rede mit deinem Vater, sag ihm, du bist zur Vernunft gekommen und er soll dich in Gnaden wieder aufnehmen. Ich wollte dir nicht schaden, Horatio. Dass du aussiehst wie Gottes Geschenk an die Frauen, interessiert mich nicht, doch dass du allen Ernstes glaubst, du wolltest mit mir und meiner Mutter in einer Wohnung mit zwei Schlafzimmern hausen, rechne ich dir an. Geh zurück in dein Leben, Liebling, bring es wieder in Ordnung. Du und ich, das war eine schlechte Idee, aber du hast für immer einen Stein bei mir im Brett.«
»Lydia«, unterbrach er ihren Redefluss, den die Tränen davonschwemmten, legte den Arm um sie und verschloss mit seinem Kuss ihren Mund. Reglos ließ er seine Lippen auf ihren, bis das Beben, das sie schüttelte, nachließ. Dann hob er den Kopf. »Mein Vater hat mich nicht hinausgeworfen«, sagte er rau an ihrem Ohr. »Ich fand, ich sollte nicht länger bei ihm wohnen, also habe ich mir eine Wohnung gesucht und eine Stellung bei der Hartley Institution angenommen. Reich werde ich damit nicht, weil das Institut keinen Universitätsstatus hat, aber du würdest mir vermutlich vorhalten, von solchem Gehalt ernähren andere eine Großfamilie.«
»Die Hartley Institution? Aber die ist doch in Southampton!«
Horatio nickte. »Ich bin morgens ziemlich lange unterwegs, aber das gefällt mir. Reiten lüftet mir den Kopf aus.«
»Warum hast du denn keine Wohnung in Southampton genommen?«
Er zögerte, hob seinen Arm von ihrer Schulter und senkte die Lider. »Ich dachte, das wäre nicht praktisch für dich. Zwar fährt nach Portsmouth ein Zug, aber im Winter fällt der ständig aus, und wie sollst du dann zur Schule kommen? Von der Commercial Road dagegen sind es nur ein paar Schritte zu Fuß.«
»Augenblick!«, rief sie. »Du hast eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern an der Commercial Road gemietet, um mit mir und meiner Mutter dort zu hausen, und obendrein dürfte ich als deine Frau noch weiter meine Arbeit tun?«
Verstört sah er auf. »Ist es nicht das, was du willst? Hast du nicht gesagt, es sei dir wichtiger, Kinder von anderen zu unterrichten, als eigene aufzuziehen?«
»Und das ist dir recht? Damit willst du leben?«
»Ich will mit dir leben«, sagte er.
»Du bist verrückt!«, schrie sie ihn an. »Du hast den letzten Rest Verstand verloren. Ich habe den Palast, aus dem du stammst, doch gesehen, ich habe die Kreise erlebt, in denen du verkehrst, und ich kann kaum drei Schritte in der Stadt tun, ohne dass eine Frau mich giftig anstiert, weil sie einmal deine Geliebte war. Wer sagt mir, dass du das Arme-Leute-Spiel mit mir nicht sattbekommst, sobald du dich lange genug damit vergnügt hast? Wer sagt mir, dass du mich nicht wegwirfst wie die anderen und meine Mutter obendrein?«
»Ich«, antwortete er. »Ich sage es dir.«
»Und das, meinst du, muss mir genügen?«
In seinen Augen zuckte es. Einen Herzschlag später hatte er sich wieder gefangen. Ohne sich abzuwenden, stand er auf und klopfte sich die Halme von den Schenkeln. »Ich weiß, ich bin der letzte Mann in dieser Stadt, der dich verdient hat«, sagte er. »Vermutlich gehöre ich gelyncht, weil ich mir eingebildet habe, du könntest mich lieben, ohne dass ich es verdiene, und ich könnte das mit dem Verdienen lernen. Aber nein, das muss dir nicht genügen, warum sollte es? Halbgare Schnösel mit schlechten Manieren sind dir ein Gräuel, das hast du mir schließlich unmissverständlich mitgeteilt.« Er drehte sich um, ging zu dem grasenden Pferd und zog den Sattelgurt fest. »Darf ich dich nach Hause bringen? Ich verspreche, ich lasse meine
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