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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Mildred hat es befohlen, und der ganze Rest hat mitgespielt?«
    »Ich kann es auch nicht glauben«, sagte er. »Hyperion hat in Portsmouth ein Stück Medizingeschichte geschrieben, aber in seinem eigenen Haus hat er nie den Mund aufgemacht.«
    »Und Georgia? Esther?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Für Georgia ist Mount Othrys ihr Leben. Und auf Esther hätten wir achten müssen, damals, als ihr Traum zerplatzt ist. Ich wünschte, ich hätte ihr geholfen. Ich wünschte, ich hätte nicht beiseitegesehen und ignoriert, dass sie daran zerbrochen ist.«
    Lydia ertappte sich bei dem Wunsch, die Hand auszustrecken und zu ihm zu sagen: Ich auch. Zugleich wollte sie ihm sagen, dass er gehen musste, dass sie ein altes Weib und zu schwach war, um irgendwem zu helfen.
    »Esther überlässt alles Mildred und Georgia«, sagte Horatio. »Ich habe sie angebrüllt, sie solle mit ihrer Tochter sprechen, aber sie erklärt, sie habe keine Kraft. Ich solle mich an Mildred wenden. Oder an Andrew.«
    »Mein Gott.«
    »In der Tat.«
    »Und das Mädchen?«
    »Ist entschlossen, mit Chastity auf einem Riesenschiff, das wir in unserem Größenwahn zusammengepfuscht haben, nach New York zu reisen und nicht wiederzukommen.«
    »Mit Chastity? Hat sie sie denn gefunden?«
    »Ja. Darauf, dass wir immerhin aus Mildred herausbekommen haben, wo Chastity ist, können wir stolz sein.«
    »Nicht in der Anstalt!«, rief Lydia, dem Schmerz in ihrer Kehle zum Trotz. »Nicht noch immer in der furchtbaren Anstalt.«
    »Du hast das gewusst, ja?«
    Verurteile mich, dachte Lydia. Sag, ich habe verdient, als verprügeltes altes Weib zu enden, weil ich eine von denen bin, die versuchen die Welt zu retten und ihre eigenen Freunde im Regen stehen lassen.
    »Ich höre jetzt auf, dich zu quälen«, sagte er. »Ich wusste nicht, wie schlecht es dir geht. Kannst du trotzdem mit mir kommen und mit Esther reden? Ich weiß mir sonst keinen Rat, und wir haben nur noch drei Tage Zeit.«
    Mit dir nach Portsmouth kommen. Die Ruine aus der Tudorzeit wiedersehen, die nassen Wiesen, die Kastanienstraße, wo unser Haus stand.
    »Ich bitte dich«, sagte Horatio. »Die Fahrt dauert keine drei Stunden, und ich nehme zwei Abteile. Du brauchst mich nicht einmal zu sehen, das verspreche ich.«
    Sie sah ihn jetzt. Und sie spürte sich. »Es tut mir so leid«, sagte sie, und der Schmerz, der ihr in kleinen Stößen in den Leib fuhr, stammte nicht allein von den wunden Lungen und der Kehle. »Du hast das Richtige getan, aber ich kann nicht mit dir kommen. Ich bin zu schwach, ich schaffe es nicht.«
    »Das glaube ich dir nicht!«
    »Hast du dich nie so gefühlt?«, platzte sie heraus. Sie hätte Esther, Chastity, Selene und der ganzen Welt helfen müssen, aber ihre Kraft war zu Ende, sie wollte nur noch, dass jemand ihr half.
    »Wie, Lydia?«, fragte er. »Wie habe ich mich gefühlt?«
    »Schwach«, schrie sie ihn an. »So schwach, dass du dich nicht mehr bewegen konntest, dich keinem Menschen mehr zeigen, hilflos, grün und blau geprügelt, gänzlich ohne Würde!« Sie schämte sich, doch die Erleichterung war ungleich größer.
    »Ich fühle mich immer noch so«, sagte er. »Von Zeit zu Zeit. Ganz geht es nicht weg.«
    »Und wie lebst du damit? Was tust du, wenn es dich anfällt?«
    »Willst du, dass ich es dir zeige?«, fragte er.
    In seiner Stimme und in seinen Augen war die Wärme, die ihr so sehr fehlte. Sie kam sich vor wie in einen Eisblock eingeschlossen. »Bitte zeig es mir.«
    Er schlang die Arme um sich und hielt sich fest. Nach einiger Zeit, während der sie fasziniert zugesehen hatte, wie er sich selbst in den Armen hielt, tat sie es ihm nach. Sie hielt sich mit aller Kraft, auch wenn der geschwollene Arm schmerzte. Irgendwann gab sie auf. »Du hast mehr Übung als ich«, bekannte sie kleinlaut.
    Er stand auf und kam zu ihr. Vor ihrem Bett ging er in die Knie, stellte mit einem Blick eine Frage und legte die Arme so sacht um sie, dass er sie kaum berührte. Erst verkrampfte sie sich. Dann begriff sie, dass er weiter nichts tun würde, dass er sie nur hielt, ohne etwas zu fordern, und dass sie sich ihm anvertrauen durfte. Ihre Spannung löste sich. Irgendwann konnte sie weinen, und er ließ sie. Seine Arme schützten sie vor einer Welt, der sie sich nicht länger gewachsen fühlte. Lange hielt er sie schweigend. Dann sagte er über ihren Kopf hinweg: »Ich wünschte, ich könnte dir wiedergeben, was sie dir zerschlagen haben. Deine Würde. Die Gewissheit, die wundervolle,

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