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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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einzigartige Lydia Burleigh zu sein.«
    Sie blickte auf. Sein Gesicht war knapp über ihrem, und der Wunsch, seine Lippen zu streicheln, die das zu ihr gesagt hatten, war kaum zu bezähmen. Sie verschränkte die Hände. »Horatio, wie hat dein Vater dich genannt? Kannst du es mir bitte sagen, auch wenn es hart ist?«
    Er drehte den Kopf zur Seite. »Idiot, sabbernder Wurm, Missgeburt ohne Hirn, später Galgenstrick, Verbrecher, Satan.«
    »Geht das auch nicht mehr weg? Bleibt es für immer kleben?«
    Von der Seite sah sie die Sehnen, die aus seinem Hals traten, den Kehlkopf, der auf und ab zuckte. »Sooft du mich anders genannt hast, war es weg. Sooft Annette mich Vater nennt, verliert es jedes Gewicht.«
    Der Schmerz, der durch sie hindurchfuhr, brach das Eis. »Ich bin ein altes Weib«, sagte sie. »Der Polizist hat das seinem Kollegen zugerufen, ehe er mir eine Ohrfeige verpasst hat – bei Gott, sieh dir die an, ein altes Weib! Es klebt an mir. Kannst du mich anders nennen, Horatio? Nur heute, damit ich aus diesem Bett aufstehen und zu Esther fahren kann?«
    Er wandte ihr sein Gesicht wieder zu. »Nein, Lydia.« Seine Augen glänzten. »Nur heute kann ich nicht. Ich nenne dich immer so. Jeden Tag. Meine Liebste. Meine Einzige. Meine schönste Lydia.«
    In weichen Wellen zogen die Worte durch ihren Körper und trieben die Eisschollen fort. Sie wollte sich gegen ihn lehnen. Sie wünschte, er würde sie wiegen.
    »Ich würde dir gern ein Paar Handschuhe geben«, sagte er, »damit du nicht solche Angst hast, mich anzufassen. Leider habe ich meine im Auto vergessen.«
    »Im Auto? Bist du verrückt, Horatio? Du bist von Portsmouth bis hierher in einem Auto gefahren?«
    Er biss sich auf die Lippe. »Ich fürchte, es war eine meiner schlechteren Ideen. Hinter Petersfield gab der Motor den Geist auf. Zu meinem Glück habe ich den Zug erwischt.«
    »Und das Auto?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Das steht irgendwo am Gleis.«
    Ihre Hände krallten sich umeinander. »Handschuhe brauche ich nicht«, sagte sie. »Ich habe Angst, dich anzufassen, weil ich dich nicht noch einmal loslassen könnte.«
    »Und musst du?«
    »Hör auf!«, rief sie, aber da hatte sie schon ihren Kopf an seine Brust gelegt, und er hatte die Arme fest um sie geschlossen. »Wir machen ja alles schlimmer, Horatio, wir haben doch dafür keine Zeit, und ich muss dir auch sagen, wer der Vater von Chastitys Kind ist, denn gewiss hat es euch Mildred nicht gesagt. Sie hat es nicht einmal Chastity gesagt, es wird für sie und das Mädchen entsetzlich sein, und ich habe nichts Besseres im Kopf als diesen Wahnsinn …«
    »Was hast du im Kopf?«, fragte er. »Willst du, dass ich mit dir schlafe, damit du dich wieder spürst? Das ist kein Wahnsinn. Glaub mir, es hilft.«
    »Ich bin ein altes Weib«, fauchte sie ihn an und fragte sich: Ist das dein Ernst? In Portsmouth geht die Welt unter, und du liegst im Bett und flirtest mit Horatio Weaver?
    Sie hatte vergessen, was sein Lächeln mit seinem Gesicht tat. »Dann passen wir ziemlich gut zusammen«, sagte er. »Und wenn du mich ohrfeigst, weil ich dich küsse, wäre das unseres Alters nicht würdig, Lydia.«
    »Wir sind unseres Alters sowieso nicht würdig«, entgegnete sie, dann war es zu spät. Er küsste sie behutsam, wie um alles, was in ihr wund war, zu liebkosen. Ihre Kehle, ihre Lippen, ihr Herz. Er streichelte ihre schmerzenden Rippen, ihren Rücken, ließ seine Finger ihren Hals trösten und umfasste, ehe seine Lippen sich von ihr lösten, mit beiden Händen ihre Wangen. »Ich schwöre, ich habe das nicht geplant«, sagte er, und seine Stimme war so rau wie ihre. »Ich bin ein Idiot, ich hätte es wissen müssen – du hast nie aufgehört mir zu fehlen.«
    »Nein«, sagte sie und begann mit allen Fingern sein Gesicht zu streicheln. »Du bist kein Idiot. Mein Liebster. Mein Einziger. Mein verboten schöner Horatio. Und was machen wir jetzt?«
    »Wir fahren nach Portsmouth.«
    Sie schwang die Beine aus dem Bett. »Aber ich will dich nicht loslassen.«
    »Liebste Lydia«, sagte er, »ich bin ein alter Mann und lasse dich altes Weib in dem bisschen Zeit, das uns bleibt, gewiss nicht los.«
    »Aber was soll denn aus uns werden?«
    »Sind wir zum Werden nicht zu alt? Lass uns nicht denken, wir haben schon so viel gedacht. Wenn du gesund bist, will ich dich lieben, bis du den blinden Trottel von Polizisten vergisst, und wenn dieses fürchterliche Chaos mit Esther und Selene gelöst ist, will ich dekadent mit dir

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