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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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oder gar ihre Schwester beim Vornamen zu nennen, doch in ihrer Freude erließ sie ihm den Tadel.
    Daphnes Genesung würde Zeit erfordern, aber Mildred bot er noch am selben Tag eine Stellung als Dienstmädchen in seinem Haus an. »So gehört es sich nun einmal«, bemerkte er mit Bedauern. »Fürs Erste zumindest. Versuchen Sie zu verstehen. Ich habe meine Großmutter bei mir, eine Frau von achtzig Jahren, die aufs Formale bedacht ist.«
    Das, was er ungesagt ließ, hatte Mildred vernommen. Der Lohn, den er ihr bot, überstieg ihre kühnste Erwartung. Von einem halben Pfund in der Woche würde sie genug zurücklegen können, um sich im Frühjahr nach Australien einzuschiffen. Sie hatte es ihm sagen wollen – wir bleiben nur, bis im Frühjahr wieder Schiffe auslaufen –, aber etwas hatte ihr die Kehle verschlossen.
    Als sie jetzt den Kutscher beiseitedrängte und samt Gepäck aus dem Einspänner sprang, wusste sie, was es war. Die Fahrt über hatte leichter Regen aufs Wagendach getrommelt, doch sobald Mildreds Sohlen das Pflaster berührten, hörte es zu regnen auf. Sie hob den Kopf und sah am Ende des Vorgartens das Haus.
    Der Garten war weitläufig und wirkte trotz des Winters schmuck. In zierlichen Blumenkübeln reihten sich gestutzte Rosenstöcke zwischen den Sockeln marmorner Statuen. Der Weg war geharkt, jeder Baum in Form geschnitten. Das Haus aber war gar kein Haus, sondern ein Palast. Leuchtend weiß sah es ihr entgegen, in einer Würde, die sie innehalten ließ. Obgleich es drei Stockwerke und mehrere Flügel besaß, haftete ihm nichts Klobiges an, sondern Grazie und Stil. Eine Treppe führte unter ein Vordach auf Säulen, und dort wartete eine Frau auf sie. Mildred hielt den Atem an. Das Haus stand in Southsea, Vorstadt von Portsmouth, nicht in Melbourne. Aber es war das Haus aus ihrem Traum.
    Während sie sich zwang, weiterzugehen, begriff sie, dass sie nicht nach Australien segeln würde. Nicht im Frühjahr und nie mehr. In endlosen Jahren, in denen sie ums Überleben gekämpft hatte, war Australien ihr Ziel gewesen, und jetzt verpuffte es in einem Atemzug. Mildred schloss die Augen und sah statt der Fremden sich selbst zwischen den Säulen stehen. Aus dem Haus glaubte sie Klavierspiel zu hören. Einmal würde im Salon dieses Hauses ihre Tochter spielen, denn hier und nirgendwo anders würde sie ihre Familie gründen. Ehe sie die Augen wieder öffnete, sah sie Daphne neben sich treten, ihr liebes Lächeln auf den Lippen, noch immer blass, doch kräftiger denn je. Ohne Frage würde sie hier mit ihr leben und als Tante ein Teil der Familie sein.
    Einen Mann, der die Stufen hinaufeilte, um seine Frau in die Arme zu schließen, sah sie nicht, doch das war auch nicht nötig, denn sie kannte seinen Namen. Hyperion Weaver. Hyperion und Mildred Weaver haben die Ehre, Sie zur Feier der Weihnacht in ihr Heim zu bitten. Hastig schüttelte sie die Welle des Glücks, die sie schwindeln ließ, ab und betrat die unterste Stufe.
    »Na wird’s bald? Ich hab nicht vor, hier festzufrieren.« Die raue Stimme der Frau befahl Mildred in die Gegenwart zurück. Am grau-weißen Schürzenkleid ließ sich unschwer die Köchin erkennen, die Hyperion ihr angekündigt hatte, auch wenn jene Sarah nicht aussah, als würde sie mit Lust verführerische Gerichte zubereiten. Köchin wechseln, notierte Mildred im Geist, und dann schalt sie sich eine Närrin, weil sie sich gab, als würde das Haus bereits ihr gehören. Dabei lag in Wahrheit der härteste Kampf ihres Lebens vor ihr. Einen neureichen Goldsucher für sich zu gewinnen, mochte leichtes Spiel sein. Hyperion Weaver aber gehörte einer Klasse an, die von ihresgleichen durch mehr als einen Ozean getrennt war.
    Sie riss sich zusammen. Die Köchin musterte sie, ohne ihr die Hand zu reichen. Mildred war nicht umsonst in Whitechapel aufgewachsen, sie brauchte keine Worte, um zu wissen, wenn jemand ihr den Krieg erklärte. Als gleich darauf eine weitere Frau aus dem Portal trat, wusste sie zudem, dass die Kriegserklärung der Köchin nicht mehr als Vorgeplänkel war für das, was noch drohte.
    »Hätten Sie die Güte, die Tür zu schließen, Sarah? Wenn mir der Sinn nach Verkühlung stünde, säße ich kaum am Feuer, sondern würde wie eine Geisteskranke im Freien umherstapfen.«
    »Ich habe meine Großmutter bei mir, eine Frau von achtzig Jahren, die aufs Formale bedacht ist«, hatte Hyperion gesagt. Die Großmutter trug ein Kleid, wie es Frauen besaßen, die zum Tee ihre Garderobe

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