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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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wechselten und die unter Tee eine sich biegende Tafel mit gepökelter Zunge, hauchdünn geschnittenem Braten und vor Sahne triefendem Gebäck verstanden. Als sie vortrat, raschelte die Seide. Sie war schlank und hielt sich wie ein Stock. Unter der Haube erkannte Mildred straff gekämmtes eisgraues Haar.
    »Verzeihung, Madam.« Die Köchin knickste. »Ich hatte Anweisung, hier auf das neue Mädchen zu warten.«
    »Das neue Mädchen schert mich wie Nachbars Furunkel«, versetzte ihre Herrin. »Mir ist es um meine Gesundheit zu tun, denn solange das Schiff ohne Führung schlingert, darf ja der alte Steuermann nicht abtreten. Also Tür zu. Die Weibsperson mag eintreten oder sich den Podex blau frieren, wie ihr beliebt.«
    Mildred zuckte zusammen, die Köchin jedoch sah ungerührt zu, wie Großmutter Weaver zurück in den Palast rauschte. Anscheinend war sie es gewohnt, dass die Herrin den Namen jenes Körperteils in den Mund nahm, wohingegen Mildred gehört hatte, vornehme Damen ließen sogar ihre Klaviere verhängen, damit das schamlose Wort Bein nicht ihren Sinn streifte. »Kommst du endlich?«, vernahm sie die mürrische Stimme der Köchin. »Ich habe, wie du hörtest, diese Tür zu schließen.«
    Ohne zu zögern erwiderte Mildred: »Ich will den Salon sehen«, und trat ins Haus. Die Halle war gänzlich ausgeleuchtet und in Marmor gefliest. In diesen Raum hätte die gesamte Wohnung von Mildreds Familie gepasst.
    Entweder nahm die Köchin grundsätzlich hin, was Leute ihr sagten, oder Mildred hatte sie mit ihrer Schroffheit beeindruckt. In jedem Fall marschierte sie durch die Halle, öffnete eine Tür und wies in das Zimmer dahinter. »Um den Salon kümmert sich Priscilla, da hast du nichts zu schaffen.«
    Der Raum war noch größer als die Halle, doch er wirkte weder leer noch verloren. Stattdessen lud Behaglichkeit ein, sich auf einer der Inseln mit Tischen und Sitzgelegenheiten niederzulassen und aufzuatmen, weil nichts das Auge mit Scheußlichkeit reizte. Hier besaß jeder Gegenstand seinen Wert und fügte sich harmonisch ins Ganze. Im Kamin brannte hohes Feuer, das Mildred in Erinnerung rief, wie erbärmlich sie gefroren hatte. Und dann sah sie, was sie gesucht hatte. Im Erker stand das Klavier.
    Diesmal brauchte Mildred nicht einmal die Augen zu schließen, um sich die Tochter vorzustellen, die den Deckel hochschlug, um schlanke Finger auf die Tasten zu senken. »Genug gesehen?« Die Köchin hatte sich zum Gehen gewandt.
    »Wer spielt das Klavier?«, fragte Mildred.
    »Na wer wohl?«, herrschte Sarah sie an. »Kein Mensch. Lady Amelia ist ja nicht mehr da.«
    Lady Amelia? Waren die Weavers gar von Adel? Das durfte nicht sein! Wenn Hyperion nicht nur die edlen Züge, sondern auch den Titel eines Adelsherrn trug, war Mildred der Weg zu ihm versperrt. Ein Arzt mochte sich unter seinem Stand vermählen, einem Angehörigen der höchsten Klasse aber blieb dies verwehrt. Auf einmal fiel ihr Hector Weaver ein, der Besitzer der Mietpension. Erleichterung überkam sie. Schwer genug fiel es, in dem Grobian Hyperions Bruder zu erkennen, aber sich ihn als einen Herrn von Adel zu denken, war ein Ding der Unmöglichkeit. Und dann die Großmutter, die über Hinterteile sprach! Nein, diese Sorge konnte sie vergessen, wer auch immer sich hinter der Lady verbarg, die hier Klavier gespielt hatte und nicht mehr da war.
    »Ist’s jetzt genug mit dem Geglotze? Du magst ja Zeit haben, dir die Beine in den Bauch zu stehen, aber bei mir sieht’s anders aus. Aus der Küche dieses Hauses wird bald die halbe Stadt verpflegt.«
    »Und weshalb das?«
    »Na weshalb wohl? Weshalb hat der Herr denn eine wie dich eingestellt? Weil er nicht nein sagen kann. Weil er sich von einem Augenaufschlag das letzte Hemd abschmeicheln lässt.« Mildred lag noch etwas auf der Zunge, aber Sarah schüttelte den Kopf. »Falls es da, wo du herkommst, üblich ist, Leuten Gruben in die Bäuche zu fragen, gewöhnst du’s dir hier besser ab. Bei uns kümmert sich jeder um sein eigenes Gelump.« Damit drehte sie sich um und ging zu der breiten Treppe, die wahrhaftig in Marmor schimmerte. Direkt darunter führte eine hölzerne Treppe in die Tiefe, und dorthin wies die Köchin. »Das Leben unter der Stiege ist ein anderes als das, was die oben führen. Wir sind wir, und die Herrschaft ist die Herrschaft. Was die treibt, braucht dich so wenig zu kratzen, wie sich die Suppe am Pudding reibt.«
    Die folgenden Wochen verbrachte Mildred damit, sich im Haushalt

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