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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Gesicht zuckte, verschaffte ihr Genugtuung. Als werde die Kränkung, die der Hutmacher und die Schwägerin ihr zugefügt hatten, leichter, wenn sie Victor März kränkte.
    »Ist recht«, sagte er in dem weichen Ton, in dem er »musst dich nicht sorgen« zu ihr gesagt hatte. »Nur wegen des Empfangs …«
    Alle Welt redete über diesen Empfang, von dem sie, die Hauptperson, noch nicht einmal wusste, wann er stattfinden sollte. »Was ist damit?«, herrschte sie ihn an.
    »Dr. Weaver hat mich doch eingeladen, zu seiner Verlobung mit Miss Daphne, aber ich habe ihm gesagt, ich komme nicht, wenn es Sie stört.«
    »Mit Daphne?« Sie hätte ihn packen mögen, schütteln und schlagen. »Haben Sie vollends den Verstand verloren? Ich bin es, die sich verlobt, ich, ich, ich, und Sie will ich dabei nicht sehen. Vergessen Sie, dass meine Schwester und ich auf der Welt sind. Wir kennen Sie nicht, wir haben Sie nie gekannt!«
    Sie hatte sich außer Atem geschrien und nicht bemerkt, dass ihr die Hutschachtel entglitt. Victor März bückte sich, so dass sie jäh seinen breiten Rücken vor sich hatte, hob die Schachtel auf und hielt sie ihr hin. Sie ertrug seinen Blick nicht. Er legte ihr die Griffe in die Hand, drehte sich um und ging.

    Drei Tage vor der Eröffnung des Piers erwachte das Haus zum Leben. Wie ein Bienenstock, in den jemand hineingestochen hatte. Fortwährend kamen Lieferungen, und eine Kolonne junger Leute rückte ein, um Möbel umzustellen, das Haus auf Hochglanz zu putzen und Unmengen von Geschirr aus den Kammern zu räumen. In der Mitte des Gartens wurde ein Pavillon errichtet und mit jungen Stöcken weißer und rosa Rosen umstellt. An den Geländern hingen Seidengirlanden, und auf den Tischen standen Kandelaber. Das Haus war so schön, wie Mildred es sich nicht hätte vorstellen können, und sie begriff, dass sie es liebte, dass es nicht länger das Haus aus ihren Hirngespinsten war, sondern etwas, das sich greifen und festhalten ließ und für das sie bis zum Letzten kämpfen würde. Es war ihr Haus. Für sie gemacht.
    Kein Mensch sprach mit ihr. Sie, der all dies gelten sollte, stand jedem im Weg und fiel doch niemandem auf. Sie wusste nicht, was ihr bevorstand. Sie wusste nicht, ob ihre Schwester da sein würde, um ihr Glück zu teilen, ob ihr Verlobter da sein würde, um sie ins Nötigste einzuweisen, ja, sie wusste nicht einmal, was sie am Leib tragen und was mit ihrem scheußlichen Haar geschehen sollte. Sie wollte, dass Hyperion zu ihr kam, weil er sich nach ihr sehnte, so heftig und erregend wie an jenem Abend auf der Treppe. In seinen Augen hatte sie gelesen, wie sehr es ihn nach ihr verlangte. Das Gefühl ließ sich mit keinem anderen vergleichen. Es machte aus Mildred aus Whitechapel eine Königin. Als sie das Warten nicht mehr ertrug, eilte sie aus dem Haus, fing Max ab und befahl ihm, sie ins Spital zu fahren.
    »Aber doch jetzt nicht, wir haben alle Hände voll zu tun.«
    »Jetzt sofort!«, schrie Mildred und spürte, wie der Rest ihrer Beherrschung sie verließ. Sie wollte endlich reden, endlich eingeweiht sein. Max trollte sich, um anzuspannen, und fuhr kurz darauf mit dem Einspänner vor.
    Was hatte Mildred erwartet? Nicht das, dachte sie, als Max sie vor der Reihe von Backsteinbauten absetzte. In der Wartehalle des Haupthauses ging es zu wie seinerzeit auf dem Bahnhof, und es roch viel schlimmer. Auf den Bänken drängten sich Menschen, die meisten von ihnen Krüppel oder Mütter mit Kindern. Wer keinen Platz ergattert hatte, stand gekrümmt vor Schmerzen oder kauerte am Boden, weil ihm zum Stehen die Kraft fehlte. Mildred sah entzündete Wunden, mit Lumpen verbundene Stümpfe, Gesichter wie Totenschädel, gedunsene Haut und leere, blinde Augen. Ihr selbst war dieses Elend vertraut, doch wie konnte Hyperion hier arbeiten, ihr Hyperion mit seinem vornehmen Sinn und dem empfindsamen Gemüt? Während sie überlegte, wo sie ihn suchen sollte, trat er aus einer Kabine und winkte einen Patienten hinein. Mildred konnte nicht anders, sie reckte sich und rief seinen Namen.
    Er war im Nu bei ihr. »Um alles in der Welt, was tun Sie hier?«
    »Sie sind nicht zu mir gekommen«, sagte sie spitz, »also komme ich zu Ihnen.«
    »Ich verstehe. Mir bleibt wohl wieder einmal nichts anderes übrig, als Sie um Vergebung zu bitten.«
    Er sah todmüde aus, das Gesicht wie abgezehrt und dabei schöner und kostbarer denn je. »Das genügt nicht.«
    »Ich weiß. Bitte warten Sie.«
    Mit Bedacht schlängelte er sich durch

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