Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
Vom Netzwerk:
speisen, an dem Tisch, an den Hyperion und seine Großmutter sich zum Essen setzten. Sie sah hinaus in den blühenden Garten und versuchte zu begreifen, dass der Tag, der vor ihr lag, gänzlich ihr gehörte, dass sie damit anfangen konnte, was ihr beliebte, und dass von nun an in endloser Folge solche Tage vor ihr lagen.
    Sie hätte ihn mit Nichtstun verbringen können, aber dazu war sie nicht gemacht. Im Gegenteil, sie hatte vor, sich in den Ablauf des Haushalts Einblick zu verschaffen und sich, was sie nicht konnte, anzueignen. Ehe sich’s jemand versah, würde Mildred Adams die Zügel übernehmen. Mildred Weaver, korrigierte sie sich, trank Tee und lächelte still in sich hinein.

Kapitel 10
    Früher Sommer
    Z ur Rechten, an den Garten angeschlossen, lag die Reitbahn. In den Stallungen waren sechs Pferde untergebracht, zwei für den Tilbury und vier Reitpferde mit wunderschönen Köpfen. An einem Morgen war Max, der Kutscher, in der Küche erschienen und hatte gesagt, er solle Miss Mildred zum Reiten abholen. Der wortkarge Mann war vor ihr her zum Sattelplatz gelaufen, wo an einem Pflock ein Apfelschimmel auf sie wartete. Das Tier erschien ihr gewaltig, dennoch verspürte sie keine Angst.
    Ein Tritt stand bereit, der ihr half, sich in den Sattel zu hieven. Max erklärte ihr knapp, wie sie die Zügel zu halten hatte, griff dann dem Tier in den Zaum und begann es im Schritt um die Bahn zu führen. Ihre Beine erwähnte er nicht. Sie hatte sie selbst an der Flanke des Pferdes in die günstigste Lage zu bringen. Hätte sie ein Bein überschlagen und rittlings wie ein Mann sitzen dürfen, wäre es ein Leichtes gewesen, sich im Sattel zu halten, so aber kämpfte sie schwankend um ihr Gleichgewicht. Drei Runden ging Max mit dem Pferd, dann fragte er Mildred, ob sie absitzen wolle. Ohne Zögern schüttelte sie den Kopf, und Max führte sie weitere drei Runden, ehe er wiederum fragte. Das Spiel wiederholte sich, bis Mildred sicher war, aus dem Sattel zu rutschen. Am folgenden Morgen schmerzte ihr Hintern wie nach einer höllischen Tracht Prügel, und doch sehnte sie sich schon nach dem nächsten Ritt.
    Sooft Max wissen wollte, wann er sie wieder abholen sollte, rief sie: »Morgen!«, und nach dem Frühstück standen er und ihr Pferd bereit. Sie lernte schnell. Bald hastete Max im Trab mit ihr um die Bahn. Mit der Zeit wurde er zugänglicher, auch wenn er weiterhin nur das Nötigste sprach. Er erzählte ihr, dass die Schimmelstute, die sie ritt, Gaia hieß und Lady Amelia gehört hatte. »Ein Geschenk von Mr Weaver, wie das ganze Gelände. Eine Lady, fand er, muss einen Reitstall haben.« Mildred hatte geglaubt, die edlen Tiere müssten ein Vermögen wert sein, aber Max zufolge waren sie alle bis auf Hyperions Fuchswallach, der kaum je bewegt wurde, zu alt. »Gehören zum Abdecker, die Gäule, verschlingen ein Vermögen, pro Kopf mehr als zwanzig Pfund, und wer braucht die denn?«
    Harsch wies Mildred ihn zurecht, doch insgeheim nahm sie sich vor, für Ersatz zu sorgen. Sie war entschlossen, mit dem Reiten nie mehr aufzuhören, und ihre Kinder sollten es von klein auf lernen. Von Tag zu Tag beherrschte sie die Stute Gaia besser. Sie wollte aus der Reitbahn hinaus und durch die Stadt galoppieren, dass die Passanten nach den Seiten flüchteten.
    Als sie es Max sagte, schüttelte der den Kopf. »Galopp ist nichts für Damen.«
    »Und warum nicht?«
    »Der Sattel ist nicht sicher genug«, brummte Max. Mildred beschloss, demnächst mit Hyperion darüber zu sprechen. Er kann mir nichts abschlagen. Wenn er es versucht, werde ich mir zu helfen wissen.
    Sie dachte oft an Hyperion. Wenn sie nicht ritt, hatte sie zum Denken zu viel Zeit. Sich Einblick in den Haushalt zu verschaffen, erwies sich als schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte, weil Priscilla und Sarah ihr auswichen. Sie müsse sich an Mrs Weaver wenden, hieß es, das aber ließ Mildred tunlichst bleiben. Ehe das Jahr zu Ende geht, bin ich Mrs Weaver, dann braucht kein Mensch mehr sich an die Alte zu wenden. Sie hätte zufrieden sein sollen. Ihr Lohn lag nicht länger an jedem Montag auf dem Küchentisch. Stattdessen überreichte ihr Sarah ein Tablett mit einem fein geprägten Umschlag, in dem sich das Doppelte der Summe befand. Das Geld war ein Segen, es war ihr Polster gegen Angst. Gegen Einsamkeit aber vermochte es nichts auszurichten.
    Mildred sehnte sich nach Hyperion. Mitten am Tag sah sie seine grauen Augen vor sich, glaubte zu spüren, wie er sie anblickte,

Weitere Kostenlose Bücher