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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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wollte nicht, dass Daphne sie sah, aber Daphne war weit weg. »So arg ist es nicht«, sagte sie. »Wir sind so gut wie verlobt.«
    Er wand sich aus ihren Armen. »Verlobt, Mildred? Sie und ich verlobt? Wer um Himmels willen bringt Sie denn auf solche Gedanken?« Seine Hände umfassten noch einmal ihr Gesicht, er wurde bleich, und seine Lippen zitterten. »Liebe Mildred, ich bitte Sie, vergessen Sie diesen Tag. Ich hätte Sie nicht küssen dürfen, ich möchte mich ohrfeigen, aber das nützt ja nichts mehr. Es ist doch Daphne, die meine Frau wird. Ihre Schwester Daphne.«
    Von weit her drang ein Möwenschrei herüber. Mildred stand erstarrt da.
    »Mir liegt viel an Ihnen«, fuhr Hyperion fort. »Für das, was Sie für Daphne getan haben, werde ich Ihnen immer danken. Sie sollen in mir mehr als einen Schwager finden. Einen Bruder, wenn Sie wollen.«
    Mildred hörte nichts mehr. In ihren Ohren rauschten nur die Namen: Hyperion und Daphne, Hyperion und Daphne.
    »Ich muss zurück zum Empfang. Da vorn wird entschieden, ob jemand behandlungswürdig ist oder nicht, das kann ich nicht den Studenten überlassen.« Er strich ihr Haar von der Wange. »Hat Max Sie hergefahren? Haben Sie ihm gesagt, er soll warten?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann suchen wir Ihnen ein Hansom Cab.«
    Noch einmal schüttelte Mildred den Kopf, riss sich los und floh. Durch das überfüllte Haupthaus rannte sie zurück auf die Straße und dann quer durch die Stadt. Warum sie irgendwann in Mount Othrys ankam und hineinging, als wäre es noch ihr Zuhause, vermochte sie nicht zu sagen.

    Am selben Abend kam Daphne. Sie fuhr in einem weißen, mit Blumen geschmückten Landauer vor, und neben ihr saß ihr Bräutigam. Er trug nicht länger den staubigen Anzug aus dem Spital, sondern einen auf den Leib geschneiderten hellgrauen Cutaway. Seine Braut trug ein blassrosa Kleid und einen weißen Hut, den eine Flut von seidenen Bändern schmückte.

Kapitel 11
    Eröffnung des Clarence Piers, 23. Juni 1861
    K ommen Sie, meine Liebe, schenken Sie mir eine halbe Stunde Ihrer kostbaren Zeit. Eine Schwägerin gewinnt man schließlich nicht alle Tage.« Der Herr deutete vor Daphne eine Verbeugung an und reichte ihr den Arm. »Ich hätte Ihnen gern ein Geschenk gemacht, aber es gab ein paar juristische Hindernisse. So ist es leider nicht rechtzeitig fertig geworden.«
    »Oh, wir brauchen doch kein Geschenk! Dass Sie gekommen sind, zählt.« Klang das töricht, hatte sie den Herrn womöglich beleidigt? Die vielen Fremden, von denen ein jeder sie zu begutachten schien, verwirrten Daphne. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen und gewartet, bis alles vorüber war. Sie wünschte sich Mildred her, die ihr erklärt hätte, was zu tun war. Aber Mildred hatte seit ihrer Ankunft kein Wort mit ihr gesprochen. Kaum hatte Daphne sie bei ihrer Ankunft am Portal stehen sehen, war ihr klargeworden, dass sie ihr gefehlt hatte. Sie wollte sich wie als Kind in ihre Arme werfen, aber Mildred verschwand ohne Begrüßung im Haus. Zum Abendessen ließ sie sich entschuldigen.
    Mit einem Schlag erkannte Daphne, wie sehr sie die Schwester verletzt hatte. Sie war ein halbes Jahr fort gewesen – hatte sie dabei an Mildred auch nur gedacht? Jetzt stand sie hier, auf dem Empfang zu ihrer Verlobung, und kein Mensch, nicht einmal Hyperion, der mit Sponsoren des Spitals sprach, fehlte ihr so sehr wie sie. Komm doch zu mir, lass mich alles erklären! Wenn Mildred begriff, was ihr Hyperion bedeutete, würde sie ihr verzeihen. Er ist das Glück, Milly-Milly. Das Glück, das du immer für mich wolltest. Daphne versuchte über Köpfe hinweg nach der Schwester Ausschau zu halten. Eine Berührung rief ihr ins Gedächtnis zurück, dass neben ihr der Herr stand, Hyperions Bruder, und dass sie vermutlich gerade die Unhöflichkeit ihres Lebens beging.
    »Bitte entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt?«
    Hector Weaver lachte. Er sah seinem Bruder nicht ähnlich, war gedrungen und dunkel, und sein Gesicht wirkte grob, wie in Eile zusammengezimmert. Um die Augen jedoch entdeckte sie einen feinen Kranz Fältchen, den sie von Hyperion kannte und der sie für seinen Bruder erwärmte. Impulsiv nahm sie seinen Arm. »Ach bitte, seien Sie mir nicht böse. Das alles ist neu für mich, und ich fürchte, ich mache falsch, was man nur falsch machen kann.«
    »Aber nicht doch.« Hector Weaver deckte seine Hand über ihre. »Sie machen Ihre Sache reizend. Auf mein Geschenk werden Sie allerdings bis zur Hochzeit

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