Die Mondrose
Deshalb lege ich mein Geld, nachdem Louise versorgt ist, für Sie an. Allzu viel ist nicht übrig, denn auch ich habe mich für das Spital zur Ader gelassen, doch Ihre Töchter werden immerhin eine Mitgift haben. Allerdings habe ich testamentarisch verfügt, dass dieses Geld für keinen anderen Zweck verwendet werden darf. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, Weaver. Sie sind in meinen Augen kein Ehrenmann mehr, wenn Sie es anrühren, auch dann nicht, wenn es dem Spital zugutekommt.«
Die Geste des Mannes nahm Hyperion den Atem. Er hatte Lob gewollt und Gnade erhalten, keinen Lohn für seine Verdienste, sondern ein Geschenk, um die Folgen seiner Schwäche zu mildern. Überwältigt, wie er war, vermochte er sich nicht einmal zu bedanken. »Ich rühre es nicht an«, versprach er und wünschte sich, Vernon möge sagen, das wisse er. Vernon aber sagte nichts mehr. Er lag noch stundenlang mit zur Decke gewandtem Blick auf dem Rücken, um kurz vor dem Abend lautlos zu sterben.
Daphne betrug sich, als wäre der Mann ihr Vater gewesen. Wochenlang hatte sie halbtot daniedergelegen, doch als Mildred ihr sagte, der alte Vernon sei gestorben, gebärdete sie sich wie toll. Wäre es Frauen nicht untersagt gewesen, Begräbnisse zu besuchen, hätte sich Daphne nicht einmal von den Stürmen, die ums Haus tobten, abhalten lassen. »Die arme Louise, ach Gott, die arme Louise. Wenn ich meinen Mann verlöre, ich könnte nicht weiterleben.«
»Natürlich könntest du.«
»Nein, Milly-Milly, das verstehst du nicht. Wenn du einen findest, den du so liebhast, bist du allein nur noch ein halber Mensch. Ich bin sicher, für die arme Louise ist es genauso. Die beiden waren so gut zu mir.«
Zu Mildred waren sie nicht gut gewesen, und um den Alten tat es ihr nicht leid. Im Gegenteil, sie hoffte, er habe sein Geld Hyperion hinterlassen, da ihm dieser schließlich wie ein Sohn nachgeeifert und damit das Vermögen seiner Familie verspielt hatte. Mit dem Geld hatte Mildred Pläne. Sie würde ans Altenteil anbauen lassen. Wollte sie sich in der Hotelwelt behaupten, so brauchte sie mindestens vier weitere Suiten, einen größeren Speisesaal und eine Köchin. Noch dringender aber brauchte sie Ärzte für Daphne. Wunderheiler, die verhinderten, dass sie an dem Kind verreckte und dass sie je wieder eines bekam.
Nell Weaver hatte einen Mietwagen bestellt, um, wie es sich gehörte, einen Besuch im Trauerhaus abzustatten. Hyperion hätte auch Mildred darum bitten können, aber er hatte es nicht getan. Er wich ihr wieder einmal aus, und diesmal tat er gut daran. Hätte er mit ihr gesprochen, hätte Mildred womöglich die Beherrschung verloren.
Er war schöner denn je gewesen, als er am Morgen zum Begräbnis auf dem Highland Road Cemetery aufbrach, ebenfalls in einem Mietwagen, denn der Einspänner sollte am Haus bleiben, falls Daphne Hilfe brauchte. Cutaway und Zylinder standen ihm, und vor allem stand ihm die Trauer. Sie rührte ans Herz, und dafür hasste ihn Mildred umso mehr. So zum Gotterbarmen schön würde er hinter dem Sarg seiner Frau hergehen, bedauert von sämtlichen Weibern der Stadt, die danach gierten, den armen Witwer zu trösten.
Nell brach auf, und Mildred hatte Haus und Kind für sich. Seit Daphne bettlägerig war, hatte sie sich nach Kräften bemüht, für Louis zu sorgen. Der Junge litt darunter, dass er seine Mutter täglich nur ein paar Augenblicke sehen durfte. Auch Daphne weinte, doch das lebhafte Kind war Gift für ihre Gesundheit. Mildred tat ihr Bestes, um ihm die Mutter zu ersetzen. Sie ließ ihn auf ihren Knien reiten, baute seine Soldaten zu Schlachtreihen auf und sah mit ihm Bücher an. Das Bücherbetrachten, das Daphne liebte, brachte Mildred schier um den Verstand, doch ihr war klar, dass ein Kind aus gutem Hause auf Bücher nicht verzichten konnte.
Davon abgesehen schenkten ihr die Stunden mit dem Kind ein Glück, wie sie es nie gekannt hatte. Wenn er vom Buch aufsah, ihr Gesicht in seine kleinen Hände nahm und es mit seiner Zärtlichkeit überhäufte, wünschte sie sich, die Zeit stünde still. Sie wollte sich in diesen leuchtenden Augen und dem seligen Lächeln verlieren, wollte hören, wie der winzige Mund ihren Namen formte, und seinen reinen Duft nach Milch und frischer Wäsche einatmen. Sie drückte ihn an sich. Ich bin für dich da, mein Sperlingsküken, was auch geschieht. Ich behüte dich.
Sie hatte ihm gerade im Buch einen furchteinflößenden Tiger gezeigt, als vor dem Haus Lärm ausbrach. Rufe
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