Die Mondrose
ertönten, Schritte polterten die Stufen hinauf. Fäuste hämmerten gegen die Tür, und als Priscilla öffnete, schrie sie gellend auf. »O mein süßer Herr Jesus!« Mehrere Männer, geführt von Max, trugen einen Körper in triefenden Kleidern in die Halle. Daphne. Sie musste sich hinaus in den Sturm gestohlen haben, um Louise Vernon zu besuchen. Auf den ersten Blick war Mildred sicher, sie sei tot. Dann aber krümmte sich ihr Leib, und ihrer Kehle entrang sich ein Röcheln. Sie lag in den Wehen.
Die Geburt von Esther Amelia Weaver dauerte zwei Tage und Nächte, und das Geschöpfchen, das schließlich mit der Zange aus dem leblosen Leib der Mutter herausgezerrt wurde, passte in zwei Hände. Der Kollege, den Hyperion gerufen hatte, prophezeite, es werde den Morgen nicht erleben. Hyperion widersprach nicht. Vermutlich war ihm gleichgültig, was mit dem Wurm geschah. Beim Anblick seiner Frau, die in ihrem Blut auf dem Bett lag, mochte ihm die ganze Welt gleichgültig sein.
Diesmal hatte er nicht mit Mildred in der Bibliothek gewartet. Er hatte überhaupt nicht gewartet, sondern Einlass ins Geburtszimmer erzwungen. Als Mildred es ihm nachtat, versuchten Nell und Priscilla sie aufzuhalten, aber Hyperion sprang von Daphnes Bett auf und rief: »Lasst sie durch, lasst sie bei ihrer Schwester sein.«
Tage und Nächte hatten sie bei Daphne ausgeharrt, in Geschrei und Blut und zwischen wechselnden Ärzten. Als das verfluchte Kind endlich geboren war, erlitt Mildred zum ersten Mal in ihrem Leben einen Schwächeanfall. Sie wollte aufspringen und den Arzt bestürmen, er solle sich um das Kind nicht scheren, sondern Daphne retten, doch sie stand noch nicht auf ihren Füßen, da brach sie wieder zusammen. Es war Hyperion, der sie mit zitternden Armen auffing. Sie sah in sein tränennasses Gesicht und keuchte »Daphne«, ehe ihr schwarz vor Augen wurde.
Als sie zu sich kam, lag sie in ihrem Zimmer auf dem Bett, die Läden waren geschlossen, und sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. So elend sie sich fühlte, fiel ihr sofort ein, was geschehen war. Schwankend stand sie auf und eilte aus dem Zimmer. Daphne durfte nicht tot sein!
Das Haus lag in stillem Dunkel. Mit klopfendem Herzen lief Mildred den Gang entlang und riss die Tür zu Daphnes Zimmer auf. Auch in diesem Raum war es dunkel. Geräusche verursachten einzig der Sturm, der an den Fensterläden rüttelte, und der Atem der Schlafenden. Gladys, die Krankenschwester, die aus dem Spital gekommen war, schnarchte im Sessel vor sich hin. Auf dem Bett lag Daphne, als hätte sie sich seit der Geburt nicht bewegt. Mildred stürzte zu ihr, neigte das Ohr vor ihren Mund und suchte tastend den Puls an ihrem Hals. Sie atmete noch, wenn auch in schwachen Zügen. Erleichtert legte Mildred das Gesicht an ihres.
Erst jetzt bemerkte sie, dass Hyperion ebenfalls auf dem Bett lag, in den Kleidern der Geburtsnacht, die Hemdsärmel aufgekrempelt und über Daphne, als hätte er sie umarmen wollen, als Erschöpfung ihn übermannte. Eine Welle des Zorns packte Mildred. Du bist schuld daran, du hättest sie bewahren können. Ihre Hand war erhoben, wie um ihn durch eine Ohrfeige aus dem Schlaf zu reißen. Im Dunkeln fiel ihr Blick auf sein Gesicht, die wie in Marmor gemeißelten Züge, die gebogenen Wimpern und den leicht geöffneten Mund. Sie spürte, wie ihr Hass die Kraft verlor, und wenn das geschah – wie sollte sie Kraft haben, für Daphne zu kämpfen?
Er schlug die Augen auf. Sein Blick traf ihren, weit und regengrau. Aus seiner Kehle drang kein Laut, nur seine Lippen formten ihren Namen.
Mildreds Finger ballten sich zur Faust. Ehe sie ein Wort sagen konnte, drehte sie sich um und rannte aus dem Zimmer.
»Wie lange sind Sie jetzt bei mir? Bald vier Jahre? Meinen Sie nicht, das wäre einen kleinen Umtrunk wert?« Hector hatte den Deutschen nach Feierabend in sein Büro bestellt. Wenig sah er mit solchem Vergnügen wie die Angst, die in den goldbraunen Augen flackerte.
Sein Tag war ein einziges Ärgernis gewesen, auch wenn die Gewinne der Gasanstalt Anlass zu Freudensprüngen boten. Ihm war zu Ohren gekommen, dass seine Schwägerin Maria Lewis in der Stadt verbreitete, bei seinem schwammigen Sohn werde Schwachsinn vermutet. Das Gerücht hätte Hector nur halb so aufgeregt, hätte er nicht insgeheim dieselbe Befürchtung gehegt. Der Junge, an dem der stolze Name Horatio sich geradezu affig ausnahm, war mittlerweile fünf Jahre alt, erhielt strengsten Unterricht und täglich
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