Die Mondrose
sterben, so hätten sie und Louis nichts verloren. Mildred würde besser für sie sorgen als er, und die Stiftung des Spitals müsste ihr einen Betrag auszahlen, der unter Mildreds Händen Ertrag bringen würde.
Der Gedanke schmerzte. Nicht sehen, wie Louis aufwuchs. Nie mehr von Daphne hören, dass sie ihn liebte. Das andere aber war unerträglich – Daphne sterben sehen wie Amelia. Louis sagen müssen, wer schuld daran war. Ja, er hätte sein Leben gegen ihres tauschen wollen, doch wie üblich ließ kein Gott sich auf solchen Handel ein.
Wenn er sich ab und an im Haus zeigte, um die Kleider zu wechseln und den Anstand zu wahren, sah er den Blicken der Frauen an, was eine jede von ihm dachte. In Daphnes Blick lag Bedauern, in dem von Nell Verachtung und in dem von Mildred glühte Hass. Einzig das kleine Gesicht seines Sohnes leuchtete auf, sobald er ihn erkannte, und weckte in Hyperion noch immer den Wunsch, dem Kind die Welt zu Füßen zu legen.
Ende Januar, als ein Sturm den Morgenhimmel über Southsea nachtdunkel machte, kam ein Bote, um ihn aus dem Spital zu holen. Sogleich befürchtete Hyperion das Schlimmste. Daphne, Daphne, Daphne. Aber der Bote kam von Louise Vernon. Er bat ihn, sich sofort auf den Weg zu machen.
In der Halle der Vernons roch es nach Krankheit und Tod. Triefend nass stand er vor Louise, die ihm ein Handtuch hinhielt. Sie war gefasst, wie sie es immer gewesen war. Zuweilen hatte Hyperion sich gewünscht, seine Last mit Daphne teilen zu können, wie Vernon es mit Louise konnte. »Gehen Sie gleich zu ihm«, wies sie ihn an. »Er hat Ihnen etwas zu sagen, und viel Zeit bleibt ihm nicht.« Einzig der Schwere ihrer Stimme war anzumerken, dass sie um ihr Leben mit ihm trauerte.
Fergus Vernon, einst ein vor Tatkraft berstender Pionier der Chirurgie, lag zum Skelett abgemagert auf dem Bett. Die Haut wie Papier, die Augen starr zur Decke gerichtet, als wäre er schon tot. »Sie werden verzeihen«, sagte er, »ich mache mir nicht mehr die Mühe, den Kopf zu drehen. Nehmen Sie Platz.«
Gehorsam setzte Hyperion sich auf den bereitgestellten Stuhl. Auf einmal wünschte er sich mit beschämender Heftigkeit, der Sterbende möge ihm ein Wort der Anerkennung sagen. Keiner als Vernon vermochte seine Leistung zu beurteilen, und wenn jener nicht mehr da war, wäre er mit seinen Zweifeln allein. Die Gebärmutterentfernung – war er damit auf dem richtigen Weg, auch wenn die Frau ihm gestorben war? Die Maßnahmen zur Reinlichkeit – würden sie dem Spott zum Trotz Leben retten? Um weiterzukämpfen, um seiner Frau wieder in die Augen zu sehen und Mildreds Zorn auszuhalten, brauchte er ein lobendes Wort, das Vernon ihm hierließ: Sie tun das Richtige. Wir kommen voran, wenn auch langsam. Die Arbeit, die Sie leisten, ist Opfer wert.
Stattdessen sagte Vernon, das Gesicht von ihm fortgewandt: »Eines Tages werden wir Organe verpflanzen können, haben Sie je daran gedacht? Dann mag so mancher, der von Liebe salbadert, seine Worte beweisen müssen. Wem, den Sie lieben, gäben Sie Ihre Niere oder die Hälfte Ihrer Leber?«
Louis und Daphne, dachte Hyperion, ohne zu zögern.
Vernon wartete seine Antwort nicht ab. »Mir haben die Frauen immer leidgetan«, sagte er. »Die Frauen, denen wir Liebe schwören, ohne dafür geradestehen zu müssen, während die Frauen von uns und unserer Liebe abhängig sind. Eine Frau kann pfiffig wie eine Füchsin und tapfer wie eine Bärin sein, sie kann über einen brillanten Geist verfügen, und es wird ihr dennoch nicht gestattet, sich anders vor Elend zu bewahren als durch Heirat mit einem Mann.«
Hatte er zuvor klar gesprochen, so begann ihm bei den letzten Worten die Stimme zu bröckeln. Viel blieb ihm nicht zu sagen, er musste abwägen, was das Wichtigste war. »Ich liebe Sie«, sagte er unvermittelt.
Hyperion fuhr zusammen.
»Meine Niere gäbe ich meiner Frau, wenn sie noch etwas wert wäre, denn sie hätte sie redlich verdient. Aber Ihnen will ich auch etwas geben. Sie haben sich Ihr Leben nicht klug eingerichtet. Ich will nicht, dass Ihre Familie unversorgt bleibt und man mit dem Finger auf Sie zeigt.«
Er machte eine Pause, um mühsam Atem zu holen. Hyperions Herz klopfte hohl ins Schweigen.
»Sie bekommen ja nun wieder ein Kind, und bei dem einen wird es kaum bleiben. Ihren Söhnen geben Sie hoffentlich das Zeug mit, sich irgendwann selbst zu versorgen, aber Ihren Töchtern wird das nicht möglich sein. Ihnen bleibt nur die Hoffnung, erträgliche Partien zu machen.
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