Die Mondrose
Sie hatten mit diesem netten Paar, das bei Milly eingemietet war, in den Kieseln Schienen für Louis’ Lok aus Blech gebaut, als ihr schwindlig wurde und sie das Bewusstsein verlor. Der Glanz des Sommers war auf einen Schlag verloschen. Als sie zu sich kam, lag sie in ihrem Bett, der Arzt war bei ihr, und sie blutete aus einer Wunde an der Schläfe, wo sie in den Kieseln aufgeschlagen war.
»Kleine Mutter«, schluchzte Louis. Daphne drückte ihn noch fester an sich. Hatte er geglaubt, sie wäre tot? Bei dem Gedanken wurde Daphne übel. Es war ja Unsinn, ihr Junge war noch viel zu klein, um vom Tod zu wissen. Aber was war, wenn es Wirklichkeit wurde?
Was ist, wenn ich sterbe?
Hatte nicht Mildred ihr oft genug erklärt, sie sei für Strapazen zu schwach? War nicht ihre Schwäche der Grund dafür, dass Hyperion sie aus seinem Leben ausschloss, seine Sorgen nicht mit ihr teilte und ihr Bett zu meiden suchte? So heftig, wie sich Louis an sie klammerte, klammerte sie sich an ihn. Wenn Mildred und Hyperion recht hatten, was wurde aus ihrem Kind? Mildred und Hyperion war sie zu nichts nütze, aber diesem einen Geschöpf war sie die Welt. Für ihn war sie unersetzlich, ihr kleiner Junge durfte nicht mutterlos sein! Sie schluckte die Tränen hinunter, auch wenn sofort neue kamen, und begann zu singen. Sie hatte Mildreds Lied ein wenig umgedichtet, er mochte es so gern wie sie.
»Wer sagt dir das, dilly dilly,
Wer sagt dir so?
Mein eigen Herz, dilly dilly,
Das sagt mir so.«
Er musste völlig erschöpft sein, denn er wurde sogleich in ihren Armen schwer. Daphne sang weiter und hielt die süße Last umschlungen. Ich behüte dich, das verspreche ich dir. Wir zwei sind untrennbar, ich lasse dich nie allein.
Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Mildred war ins Zimmer gekommen, warf sich auf die Knie und umarmte Daphne. »Vorsicht«, flüsterte diese, »Louis ist gerade eingeschlafen.« Dann aber ließ sie sich in Mildreds Arme fallen und weinte die Angst wie als Kind aus sich heraus.
Später, als sie zu Atem gekommen war, erlaubte sie Mildred, ihr den Jungen abzunehmen und an ihre Seite zu betten, so nah, dass sie den warmen kleinen Körper noch spürte. Dann ging Mildred zum Waschtisch, machte ein Tuch nass und rieb ihr mit kühlem Wasser das Gesicht ab. »Sag mir, was dir geschehen ist.«
»Nichts.« Daphne versuchte ein Lächeln, das gründlich misslang. »Die Hitze war wohl nur ein bisschen viel für mich.«
»Es ist September«, versetzte Mildred trocken. »Das milde Wetter solltest selbst du ertragen.«
Wie von selbst sprudelten die Worte: »Ach Milly-Milly, ich habe solche Angst. Ich habe mir so sehr gewünscht, Hyperion noch ein Kind zu schenken, ich bin so glücklich gewesen, aber jetzt weiß ich, dass du recht hattest, ich bin zu schwach, ich hätte mein Schicksal nicht herausfordern dürfen, und wenn ich sterben muss, was wird dann aus meinem Sohn?«
Was Mildred sagte, hörte sie nicht, ihr Schluchzen übertönte es.
»Ich habe dir so viel Mühe gemacht, und ich habe Hyperion so viele Sorgen aufgebürdet, mir steht nicht zu, dass ihr mich liebt. Aber mein kleiner Junge braucht mich. Er kann keine andere Mutter haben als mich.«
Hart umschloss Mildreds Hand ihr Kinn. »Wovon redest du?«
Daphnes Schluchzen erstarb. Sie hatte es vergessen. Dass Hyperion sie gebeten hatte, Mildred noch nichts zu sagen, fiel ihr erst jetzt wieder ein. »Ich bin noch einmal in der Hoffnung«, stieß sie aus. »Ich weiß, du hast gesagt, ich darf es nie mehr sein, aber ich habe deine Warnung in den Wind geschlagen. In der Schwangerschaft mit Louis ging es mir gut, habe ich gedacht, weshalb soll es nicht auch diesmal gutgehen? Und jetzt muss ich sterben, und ich darf doch meinen Jungen nicht alleinlassen.«
»Du bekommst ein Kind?«, schrie Mildred. »Dieses Tier hat dir ein Kind gemacht?«
»Milly, ich bitte dich! Hyperion ist …«
»Ein Tier ist er, ein widerliches, viehisches Tier!« Mildred war aufgesprungen. Überlebensgroß baute sie sich über Daphne auf und schrie. »Ein Mann, der Medizin studiert hat, der sich brüstet, Leben zu retten, geht nach Hause, krempelt die blutverschmierten Ärmel hoch und setzt das Leben seiner Frau aufs Spiel.«
Das Gesicht von Ekel verzerrt, spuckte Mildred auf den Boden. Daphne krümmte sich auf dem Bett zusammen und hob die Arme vors Gesicht, als wollte die Schwester sie schlagen. Übelkeit schoss ihr in die Kehle. Der kleine Louis wimmerte im Schlaf.
»Wie weit bist du?«,
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