Die Mondscheinbaeckerin
Abwesenheit das Glück ausgerechnet hier zu finden!
Auf einem Football-Feld in Mullaby in North Carolina.
Wo es auf sie gewartet hatte.
FÃNFZEHN
A m Abend ging Emily, die Hände in den Taschen ihrer Shorts vergraben, die StraÃe entlang. Obwohl keine Autos unterwegs waren, lauschte sie auf Motorengeräusche und versuchte, sich im Dunkeln zu halten, weil sie fürchtete, dass Win den ganzen Ort zum Musikpavillon eingeladen hatte wie ihre Mutter damals.
Doch ein kleiner Teil von ihr fragte sich, ob das, was Win behauptet hatte, nicht doch stimmte. Wenn Riesen existierten, wenn sich eine Tapete selbsttätig verändern konnte ⦠warum sollte Win dann lügen? Wenn er die Wahrheit sagte, bedeutete das, dass es nicht um Rache ging, nicht darum, was ihre Mutter seinerzeit getan hatte. Je näher sie dem Musikpavillon kam, desto mehr wünschte sie sich, dass es stimmte.
An der Main Street hielt sie vor dem Park inne. Niemand da. Im graugrünen Mondlicht sahen die Schatten der Bäume aus wie dürre Hexenfinger, die übers Gras nach ihr griffen. Sie zwang sich, zum Pavillon zu gehen.
Wenige Meter davor blieb sie stehen und hob den Blick zu der halbmondförmigen Wetterfahne, bevor sie zur StraÃe schaute, ob Win sich von dort näherte.
»Du bist tatsächlich gekommen. Das hätte ich nicht gedacht.«
Seine Stimme erschreckte sie. »Wo bist du?«, rief sie in den Park und lieà den Blick schweifen, doch die Schatten hielten sie zum Narren.
»Hinter dir.« Als sie sich zum Pavillon umdrehte, ballte sie die zitternden Hände so fest zu Fäusten, dass die Nägel sich ins Fleisch gruben. SchlieÃlich entdeckte sie eine Gestalt in den Schatten hinter der Bühne.
»Du leuchtest nicht«, stellte sie vorwurfsvoll fest, als hätte er ihren Geburtstag vergessen oder wäre ihr auf den Fuà getreten, ohne sich dafür zu entschuldigen. Es schmerzte, und sie kam sich albern vor.
Er löste sich aus den Schatten, kam langsam die Stufen herunter und betrat den Rasen wenige Schritte von ihr entfernt.
Sie forderte ihn mit ihrem Blick heraus. Nun mach schon , dachte sie.
Es dauerte eine Weile, bis ihr bewusst wurde, dass Win nervös und unsicher wirkte. Da geschah es. Als hätte jemand eine Glut angefacht, begann es plötzlich rund um ihn herum zu leuchten. Seine Haut strahlte helle Wärme ab, die sich auf Emily zuzubewegen, nach ihr zu greifen schien. Es war atemberaubend schön.
Win entspannte sich ein wenig, als ihm klar wurde, dass sie nicht weglaufen würde. â Obwohl sie das gewollt hätte. Sie konnte nur nicht, weil ihre Muskeln wie erstarrt waren.
Er machte einen Schritt auf sie zu, dann noch einen. Sie sah das Licht auf sich zukommen, und dann spürte sie wieder diese Wärmebänder, die sie bereits kannte. Doch es war eine neue Erfahrung, sie mit eigenen Augen wahrzunehmen .
»Stopp«, keuchte sie und wich zurück. »Bleib stehen.«
Er gehorchte sofort. »Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich.
War alles in Ordnung? Nein! Emily kehrte ihm den Rücken zu und stützte, nach Luft ringend, die Hände auf die Knie.
»Du brauchst keine Angst zu haben, Emily.«
»Wie machst du das?«, fragte sie. »Hör auf damit!«
»Das kann ich nicht. Ich kann nur aus dem Mondlicht heraustreten. Komm rüber zu den Stufen und setz dich.«
»Nicht«, sagte sie, als sie merkte, dass er sich ihr nähern wollte. »Mach, dass es aufhört.«
Er zog sich hastig in den Schatten des Pavillons zurück, während sie sich auf die Stufen setzte, den Kopf senkte und sich abzulenken versuchte. Das Wort Lethologie beschreibt die Unfähigkeit, sich an einen gesuchten Ausdruck zu erinnern.
Als die Panikattacke nachlieÃ, hob sie den Blick. Auf ihrer Stirn stand kalter SchweiÃ.
»Ich wollte nicht, dass du Panik bekommst«, entschuldigte sich Win, der hinter ihr stand. »Tut mir leid.«
Sie drehte sich nicht zu ihm um. »Schauen uns Leute zu? Werden wir gefilmt?«
»Es ist keine Falle«, versicherte er ihr. »Ich bin so.«
Sie holte tief Luft und wischte sich die Stirn mit dem Handrücken ab. Nun begriff sie, warum die Leute im Ort damals so schockiert gewesen waren, als ihre Mutter Wins Onkel nachts aus dem Haus gelockt hatte.
Merkwürdige und wunderbare Dinge, ja.
»Wie fühlst du dich?«, erkundigte er sich. »Kann ich dir irgendwie
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