Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
erklären wollen, wie es kam, dass sie es ein ums andere Jahr verschoben hatte, aus dem selbstgewählten Elend auszubrechen. Irgendwann hörten sich ihre Erklärungen auch für sie selbst fad an.
Marianne zupfte sich unwillig die Haare. Das war keine Frisur, das war Bohnenkraut! Sie ging zum Kleiderschrank und besah sich ihre schmale Habe: ein paar T-Shirts und billige Blusen aus dem Intermarché, zwei einfache Hosen und praktische Unterwäsche, Leinenschuhe und zwei hochgeschlossene Nachthemden.
Marianne erforschte ihr Gesicht und die Jahre, die sich in ihm verhakt hatten. Die vertikale Falte über der Nasenwurzel. Die Falten um die Augen. Jene, die den Mund einrahmten. Zahllose Sommersprossen, von denen sie hoffte, es seien nicht zu viele Altersflecken. Und der Hals, ach, der Hals …
Es war nicht zu ändern: Sie war eine alte Frau. Aber musste das bedeuten, sich nicht mehr nach ein wenig Schönheit zu sehnen?!
Eine Stunde später saß Marianne aufgeregt wie ein Schulmädchen in Marieclaudes Friseursalon in Pont-Aven. Sie kam nicht im mindesten auf die Idee, dass diese seltsamen Bläschen der süßen Unruhe sie hierhergeführt hatten.
Marieclaude ließ ihre Finger prüfend durch Mariannes graubraunes, langes Haar gleiten.
»Nur ein bisschen Form reinbringen«, bat Marianne schüchtern.
»Hmm. Eine Reinkarnation wäre auch hilfreich. Mon Dieu, das wurde aber auch Zeit«, murmelte die Friseurin, winkte ihre Gesellin Yuma zu sich und gab ihr rasche Anweisungen, die Marianne nicht verstand. Insgeheim hoffte Marianne, nicht die gleichen roten kleinen Löckchen wie Marieclaude zu bekommen; sie sah genauso aus wie ihr Schoßhund Loupine, der neben der Kasse auf einer Art Podium in einem eleganten Körbchen thronte.
Marianne schloss die Augen.
Als sie sie nach einer weiteren Stunde wieder öffnete, föhnte Yuma gerade ihre neue Frisur. Neben ihr war Marieclaude damit beschäftigt, einem der örtlichen Bauernjungs Läuse aus dem Haar zu picken. Sie unterhielt sich mit Colette, die einen Stuhl weiter saß und ihren schneeweißen Pagenschnitt nachschneiden ließ. Die mondäne Galeristin trug ein lachsrotes Kostüm, weiße Pythonlederhandschuhe und offene weiße Slingpumps. Sie prostete Marianne mit einem Bellini zu.
»Sie sehen zauberhaft aus! Wieso haben Sie das so gut versteckt?«, rief sie. Und dann zu Marieclaude: »Sie braucht was zu trinken.«
Mariannes Herz hüpfte, als sie sich betrachtete. Ihr schlickfarbener Haarmopp war verschwunden, stattdessen schmückte sie ein fedriger Bob, der ihr bis zum Kinn reichte und die Farbe von jungem Cognac angenommen hatte. Yuma hatte es geschafft, Mariannes welliges Haar so zu bearbeiten, dass es ihr herzförmiges Gesicht betonte. Lisann hatte ihr noch die Augenbrauen gezupft, bei den unvermutet ziependen Schmerzen waren Marianne allerdings Tränen gekommen. Auch die Tönung ihrer Wimpern hatte gebrannt.
Jetzt stand Marieclaude neben Yuma und schaute Marianne kritisch aus zusammengekniffenen Augen an.
»Da fehlt was«, sagte sie dann und bedeutete Marianne, sich zu Lisann an die Make-up-Station zu setzen. Marianne fand es lächerlich und wunderbar zugleich. Sie nahm einen tiefen Zug von dem Bellini, den ihr Yuma in der Zwischenzeit gebracht hatte. Der Champagner stieg ihr sofort zu Kopf. Alles wurde ganz bunt.
Als Lisann fertig war und ihr einen Spiegel reichte, stellte Marianne fest, dass sie ihre Augen mochte. Und ihren Mund. Der Rest … nun. Sie sah außen anders aus, als sie sich innen fühlte. Vor Wochen hatte sie sich halbtot gefühlt. Jetzt fühlte sie sich wie … vierzig. Wie dreißig. Wie jemand anderer. Und beschwipst.
Marianne fragte Lisann, was gegen Falten helfe.
»Ein Lippenstift für tagsüber, ein Lippenstift für abends und ein Liebhaber für die Nacht«, piepste Lisann kokett. »Oder umgekehrt. Zwei Liebhaber und ein Lippenstift.«
Als Marianne ihre Rechnung beglich, sagte Marieclaude: »Ihrem Verehrer wird es sicher sehr gefallen.«
»Meinem … was?«
»Oder Ihrem Mann.« Die Friseurin spähte auf Mariannes Ringfinger; aber die weiße Rille war verblasst, und Mariannes Hände waren von ihren täglichen Ausflügen gebräunt.
»Je ne comprends pas«, sagte Marianne rasch.
»Haben Sie keinen Mann? Also, wie Sie jetzt aussehen … Sie könnten einen Mann und noch ein paar Liebhaber dazu haben. Vielleicht nicht mehr die ganz jungen, aber wir haben hier ja genügend Herren in einem interessanten Alter. Gefällt Ihnen jemand besonders
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