Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
einem zischenden Krachen und hellen Blitzen, die die Mole erhellten. Das elektrische Licht flackerte kurz, dann erlosch es. Nur noch die Kerzen auf den Tischen spendeten Licht.
In der intimen Dunkelheit sah Jeanremy, wie die Hand von Gilbert sich am Po seiner Frau herabtastete.
Dann flog die Tür mit einem Krachen auf – Laurine. Sie war völlig durchnässt; unter ihrer Bluse zeichneten sich ihre Brustspitzen ab. Padrig starrte sie an, Monsieur Gilbert starrte sie an, und Jeanremy wollte sie alle umbringen.
»Padrig!«, rief Jeanremy wütend. »Hilf mir in der Küche. Ich muss den Ersatzgenerator für das Kühlhaus anwerfen.«
Der Regen prasselte mit solcher Wucht ans Fenster, dass Madame Geneviève erneut ihre Stimme erheben musste. »Noch einen Calvados, der wärmt.« Sie goss sechs Gläser ein.
Der Himmel hatte sich zu schwarzroten Wolkengebirgen aufgetürmt. Ein Blitz trennte die Schwärze des Himmels auf wie eine Naht.
Jeanremy und Padrig warfen den Generator an, und das Licht flackerte auf; all das, was eben an düsterem, sinnlichem Zauber den Raum erfüllt hatte, verflog in der schrillen Unbarmherzigkeit des Neonlichtes.
»Was ist denn das?«, fragte Padrig und deutete auf die versteckte Kiste mit Blumen und den Packen mit Briefen im Kühlhaus.
Wortlos hielt ihm Jeanremy die Kuverts hin. Auf jedem stand Laurines Name und ein Datum. Dutzende von Liebesbriefen.
»Und du Idiot hast sie ihr nie gegeben?«
»Jetzt kann ich es nicht mehr. Ich habe ihr weh getan. All das … wird Laurine nichts mehr bedeuten.«
Padrig schüttelte entnervt den Kopf.
Laurine hatte sich die Jacke angezogen und ihre restlichen Besitztümer aus dem Spind in der Personaltoilette geholt. »Fährst du mich nach Hause, Padrig«, sagte sie bestimmt. Sie würdigte Jeanremy keines Blickes.
Madame Gilbert beobachtete Jeanremy, und Monsieur Gilbert betrachtete seine Frau und lächelte, als wüsste er alles und habe sich damit arrangiert. Er trank den kalva in einem Zug aus.
Immer noch grollte der Sturm, der Regen fiel fast waagerecht und zerschnitt die Luft; in seiner Nebelwand verschwanden Padrig und Laurine, und unter ihm hinweg duckten sich Madame Gilbert und ihr Mann zusammen mit Geneviève und hasteten die Stufen zur Auberge hinauf.
Jeanremy und Marianne blieben mit einer Flasche Calvados und unverschenkten Liebesbriefen in der Küche zurück.
»War das die andere Frau?«, fragte Marianne irgendwann. Jeanremy nickte und stützte sein Gesicht in seine Hände. Dann goss er ihre beiden Gläser randvoll.
Als sie sich später an dem Treppenlauf hinauf in ihr Muschelzimmer zog, beschloss Marianne, dass sie am nächsten Morgen damit anfangen würde, sich bei allen zu entschuldigen. Dafür, dass sie gekommen war, gegangen war, und auch dafür, dass sie nicht ehrlich gewesen war.
Erst als sie im Bett lag, ein Bein auf dem Boden, damit sich das Zimmer nicht so um sie drehte, realisierte sie, dass sie dem Kater einen Namen geben wollte. Er sollte zu ihr gehören. Seine Nomadenseele hatte wohl damit ihr Zuhause erreicht.
»Gute Nacht, Max«, flüsterte Marianne in die Dunkelheit.
Der Kater schnurrte.
37
O ffenbarten die härtesten Herzen nicht zu oft erst dann ihren wahren Kern, wenn sie zerbrachen?
Sidonie spürte, wie etwas in ihr aufstieg, was sie lang nicht gekannt hatte. Tränen. Sie fing eine auf, als sie ihre Wange hinabrutschte, und betrachtete ihre rauhen, rissigen Finger.
Sie überhörte, wie an der Gartentür des Ateliers jemand klopfte.
»Hallo? Jemand zu Hause?«
Sidonie legte die zwei Teile des zerbrochenen Steinherzens direkt auf den Laborbericht und ihr angefangenes Testament, als Marianne näher kam, und wischte sich mit der Rückseite der Handgelenke rasch über die Augen.
Mariannes Lächeln verschwand. Sorge trat an seiner statt.
»Was ist das?«, fragte sie und zeigte auf Sidonies Augen.
»Nichts«, sagte Sidonie. »Nur … der Dreck. Und die Sonne.«
Und der Tod und die Liebe.
Marianne ging mit großen Schritten durch das Atelier, setzte den Korb mit den Lebensmitteln für die Goichons – und die Tüte mit Pralinen, die so aussahen wie kleine peulven und taol-vaen, Kieselsteine, die sie für die Steinmetzin mitgebracht hatte – auf dem Tisch ab und zog Sidonie in ihre Arme. Die war zu überrascht, um auszuweichen.
Für einen unwissenden Beobachter musste es so aussehen, als zwänge Marianne die Steinmetzin zu einem Tanz: Marianne umarmte sie, während Sidonie die Arme schlaff an der Seite
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