Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
hätte nicht erwartet, dass ihn Laurines Worte so sehr trafen.
Genoveva … Es war lange her. Und doch hatte nichts seine Erinnerungen verwässert.
Er hatte sich sofort in Geneviève Ecollier verliebt. Sie war fünfundzwanzig gewesen, Alain achtundzwanzig, und es war ein hitzegesättigter Sommertag, als sie ihn mit einer Intensität in seinem Sein getroffen hatte, die alles ausradierte, was er je gewollt hatte.
Es war der Tag, an dem Geneviève Ecollier Verlobung feierte. Mit Alains Bruder Robert.
Alain war aus Rennes gekommen, um sich erstmals jene Frau anzusehen, von der Robert ihm erzählt hatte, am Telefon und in seinen unschuldigen, schwärmerischen Briefen.
Alain hatte ihm nur die Hälfte der Hälfte geglaubt und damit gerechnet, ein reizloses Bauernmädchen hätte mit ihrer Büchse Robert den Kopf verdreht.
Aber Geneviève war nichts davon. Sie war von einer provokanten Sinnlichkeit, lebendig, mit dunkelroten Kirschlippen und dunklen Augen, die einen Mann durchbohren konnten, bis er hörte, wie sein Herz auseinanderknackte.
Alain hatte den ganzen Abend der Feier über geschwiegen. Er war wütend gewesen. Auf Robert, der ihn nicht angelogen hatte, als er von seiner Braut sprach, und auf Geneviève. Weil sie war, wie sie war, nichts dafür, aber auch nichts dagegen tat, dass sich Alain in sie verliebte. Er hatte sie beobachtet, wie sie mit Robert umging, voller zärtlicher Aufmerksamkeit. Mit ihren Eltern. Mit seinen Eltern; sie schaffte es, dass seine strenge Mutter, die allem Weiblichen misstraute, das sich ihren Söhnen näherte, sie wie eine Tochter betrachtete, die ihrerseits vor den Garstigkeiten der Männer beschützt werden musste. Und sein Vater, der sich benahm, als wäre er persönlich dafür verantwortlich, dass sein mittlerer Sohn es geschafft hatte, solch eine Frau für sich zu bekommen. Er brachte Geneviève geradezu hündische Ergebenheit entgegen.
Später hatte Alain genug Wut und Mut gesammelt, um Geneviève zum Tanzen aufzufordern.
War Alain vorher nur verwirrt gewesen, so war er ab dem Moment, als sich Genevièves Körper unter ihrem roten Kleid an seinem bewegte, unrettbar verloren. Sie sprachen nicht, sie sahen sich nur an, und ihr Atem war während des Tanzes lauter geworden. Er hatte ihre warme Haut unter dem seidigen Stoff an seinen Fingerspitzen gespürt, er hatte die Hitze, die aus ihrem Blick und aus ihrem Schoß strömte, gefühlt. Es gab nichts zu sagen, was die Sprache ihrer Blicke und ihrer Hände nicht Lügen gestraft hätte.
Je länger sie wortlos tanzten, desto schwieriger wurde es, Worte zu finden.
Doch er wusste, dass sie beide etwas fühlten, das in ihrem Verstand keinen Platz hatte: Ich. Will. Dich.
Ja. Nimm. Nur. Mich.
Und das hatte ihm den Rest gegeben. Dieser Gleichklang des Wollens.
Alain war immer der Held der Familie gewesen; jede Schlacht hatte er gewonnen, immer waren seine Absichten klar gewesen. Nie hatte Alain betrügen oder belügen müssen, um Erfolg zu haben.
Mit Geneviève verlor er den Heldenstatus, er verlor alles, und er ging in eine Schlacht, in der er seine Seele würde drangeben müssen.
Und all das war Alain nicht in Worten, so doch in den Gefühlen seines Gewissens klar gewesen, als er sich mit Geneviève zu der Musik im Saal drehte. In dem Saal, in dem bis heute noch ein Gemälde hing, das einmal um die Wand lief, die alte Auberge.
Später hatte Geneviève das Hotel gekauft, als wolle sie das, was dort an diesem Abend passiert war, nicht Fremden überlassen.
Wenn man jung war und noch nichts von der Liebe und der Welt wusste, war es nur natürlich, dumm zu denken und dumm zu handeln. Nicht dass Geneviève, seine Genoveva, jemals dumm gewesen war. Nein, Alain war es.
Aber Alain liebte die Braut seines Bruders innig und rein.
Und sie? Geneviève war so klug, es nicht gleich zuzulassen. Sie war wie der bretonische Juli gewesen. Mit seinen Tagen, die nicht der Nacht nachgeben wollen und bis zur Mitternacht ihre hellen Streifen der Dunkelheit entgegenstemmen.
Alain in seiner Rastlosigkeit der Jugend hatte es nicht akzeptiert. Er hatte sie mit seinem Begehren verfolgt, mit seiner Liebe überflutet, mit seinem Verlangen verführt. Die Leidenschaft drohte sie beide zu ertränken, als Geneviève nach vier Wochen nachgab.
Alain und Geneviève hatten drei Sommer gehabt. Drei Herbstzeiten, zwei Winter, zwei Frühlinge. Sie liebten einander verzweifelt, ernsthaft, tief. Sie blendeten aus, sich zu entscheiden, aus Angst, dass es dann
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