Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
unter ihm fort, Alain taumelte, ihre Hände glitten voneinander ab, Geneviève schrie auf. »Alain!«
Nicht jetzt. Bitte, nicht jetzt!
Vor ihren Augen kippte ihr Geliebter zur Seite und in die Tiefe.
Bitte nicht! Er konnte doch nicht schwimmen! Wenn er jetzt vor ihren Augen ertrank, würde sie ihm folgen, das wusste sie, und mit derselben Sicherheit wusste sie, dass ihr Hass verschwendet gewesen war. Dass sie über ihm alt geworden war. Ihre Fingerkuppen brannten, sie wussten noch genau, wie ihr einziger Mann sich anfühlte, sie hatten es immer gewusst und immer vermisst. Alain!
Geneviève sprang.
Marianne drängte sich aus Yanns Umarmung und lief den Quai hinab.
Genevièves rotes Kleid bauschte sich auf dem dunklen Wasser, doch sie schwamm auf Alain zu, bis sie ihn umfangen hatte. Engumklammert drehten sie sich im Fluss.
Als sich Marianne umdrehte, um Hilfe zu holen, prallte sie gegen eine graue Mauer.
Lothar?!
Sie lief an ihm vorbei zu dem Hafenbüro, zerrte den Rettungsring von der Halterung an der Wand und lief zurück, weiter die Mole entlang, bis sie den äußersten Rand erreicht hatte.
Wo waren sie? Da! Zwei helle Gesichter direkt über den Wellen. Es war Ebbe, wenn sie weiter abtrieben, würde das Meer sie aus der Mündung heraussaugen und sie mit sich reißen.
Lothar griff nach dem Ring in Mariannes Händen.
»Lass mich das machen«, rief er. »Du kannst das nicht.«
Für einen Moment trafen sich ihre Blicke.
»Was ich alles kann, das weißt du gar nicht«, zischte Marianne und riss ihm den Rettungsring aus der Hand. Zusammen mit ihrem überwältigenden eiskalten Zorn schleuderte sie ihn weit in den Aven hinein.
Er segelte knapp zehn Meter durch die Luft wie ein Diskus und landete genau neben dem schimmernden roten Fleck. Das Seil hatte Marianne sich fest um die Hüfte geschlungen. Sie spürte, wie ihr die Kräfte schwanden, als der Fluss an dem Ring zog. Sie taumelte.
Lothar trat vor Marianne und begann, das Seil Zentimeter für Zentimeter einzuholen. Marianne stand neben ihm und konnte sich nicht erklären, was sie so starr und taub werden ließ, je länger sie seine Gegenwart spürte.
Geneviève und Alain hielten sich an dem Ring fest, bis père Ballack zu ihnen gerudert war und ihnen half, sich über die niedrige Kante der Mariann in Sicherheit zu bringen.
Dann erst warfen sie den Rettungsring wieder über Bord, Lothar holte ihn ein.
»Danke«, sagte Marianne zu ihrem Mann und berührte kurz seinen Arm; es kostete sie Kraft, ihn überhaupt zu heben.
Lothar nickte knapp. Die leichte Berührung hatte ihn durchströmt wie ein Stromschlag. Dann lächelte er Marianne zärtlich an.
»Wie schön du gespielt hast«, sagte er.
Seine Frau hatte einen Liebhaber. Sie sah wunderschön aus, sie wurde gemocht, wenn nicht sogar geliebt, das hatte er gesehen, in den Gesichtern, die sich ihr zugewandt hatten wie Blumen der Sonne. Sie fügte sich so sehr in dieses Land ein, als sei sie hier geboren, dachte er, als hätte man auf sie gewartet. In ihm begann etwas einzustürzen.
Er hob seine Hand und wischte Marianne mit dem Daumen über die Lippen. Dann beugte er sich vor und gab ihr einen raschen Kuss auf den Mund, ohne dass sie Gelegenheit hatte, auszuweichen.
Über seine Schulter hinweg sah Marianne Yann, und in dessen Blick lagen Schmerz und Hoffnung übereinander.
»Lothar«, bat sie ihren Mann. »Können wir später reden?«
»Alles, was du willst«, sagte Lothar, »ich habe mir drei Tage Urlaub genommen«, drehte sich um und salutierte dem Mann, der eben am Quai so zärtlich und vertraut seine Frau umfasst hatte.
Lothar sah Marianne nach, als sie an der Mole entlanglief, und es war, als sähe er eine vertraute Fremde, die sich all die Jahrzehnte sorgsam vor ihm versteckt hatte.
Yann trat neben ihn.
»Am besten, wir reden gleich miteinander«, begann der Maler langsam. »Oder wollen Sie ein Duell?«
Lothar schüttelte den Kopf. Nein. Er wollte seine Frau wiederhaben. Er konnte nicht fassen, wie Marianne es vor ihm geheim gehalten hatte, dass sie so schön war.
Père Ballack kam allein den Quai herab. »Sie wollten allein sein«, sagte er entschuldigend. »So eine Nahtoderfahrung weckt ja meist … nun ja … das Fleisch.« Er grinste.
Marianne sah dem Kahn nach, der flussaufwärts in der Dunkelheit verschwand. Als ob Geneviève und Alain die Quelle finden wollten, die Quelle des Stroms, aus dem ihre Liebe entsprungen war. Sie würden sie noch vor Tagesanbruch finden, schätzte
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